Gastkommentar

SPÖ und die Mimikry der Menschlichkeit

Wer sich auf den Lorbeeren der moralischen Überlegenheit ausruht, kann nicht den Kanzleranspruch stellen.

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Mimikry bezeichnet in der Biologie die Fähigkeit, sich der Gestalt oder Farbe von anderen Tier- oder Pflanzenarten anzupassen, sofern angenommen wird, dass diese Ähnlichkeiten mit Überlebens- oder Vermehrungsvorteilen verbunden sind. Eine Adaptation, die dem eigenen Schutz oder Vorteil dient. Die Selbstzuschreibung des Faktors Menschlichkeit durch die SPÖ und ihre Parteichefin, Pamela Rendi-Wagner, im vergangenen Nationalratswahlkampf kann man im weitesten Sinne ebenso als Imitationseffekt sehen. Denn Menschlichkeit lebt man entweder oder nicht, aber man plakatiert sie nicht oder redet ständig davon.

Dies lässt eben den Anschein einer Politmimikry erwecken, und man macht sich damit eher verdächtig, da das politmediale Verhalten Charity-Aktionen gleicht, bei denen man sich selbst durch die milde Gabe von Spenden in ein gutes Licht rücken will.

Substanz der SPÖ

Nur so zu tun, als ob ist zu wenig. Das manifestierte sich in zahlreichen demoskopischen Erhebungen, bei denen die einst so mächtigen Sozialdemokraten weit entfernt von einem Kanzlerduell waren, und schlussendlich auch bei der Wahl. Die SPÖ steht nicht nur bei der Gunst der Österreicher, sondern vor allem bei ihren Leistungsträgern vor einem großen Dilemma. Das Wahlduell Pamela Rendi-Wagners mit Sebastian Kurz im Privatsender OE24 offenbarte gröbere Defizite der Partei und deren Entwicklung. Viel zu lang hat sich die Jahrhundertbewegung auf ihre moralische Überlegenheit verlassen. Diese Tatsache rächte sich nun in den Konfrontationen einer habilitierten Medizinerin mit einem 33-jährigen Altkanzler mit gymnasialem Hintergrund.

Bis dato hat es gereicht, in moralischer Selbsterhöhung vor der Gefahr von rechts durch die FPÖ zu warnen. Sich selbst, seine Funktionäre und die Themen weiterzuentwickeln, hat man vergessen. Stattdessen wurde auf Berater und Agenturen gesetzt, die die mangelnde Substanz zu kompensieren versuchten.

Persönlichkeitsentwicklung ist nicht nur ein Schlagwort oder ein Kurs, den man einmal besucht, um Binsenweisheiten zu lernen. Sie ist ein nie endender Prozess, dessen Erkenntnisse wie ein körperliches Training wehtun können. Das Resultat der fehlenden nachhaltigen Arbeit an sich selbst und der Partei konnte man bei besagtem TV-Duell beobachten.

Anstatt mit neuen Themen und einer klaren Wertedebatte in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinandergeht, zu punkten, wurde versucht, den jungen Altkanzler auf persönlicher Ebene zu attackieren.

Persönliche Attacke

Diese Strategie ging nicht auf, wie die deutlich besseren Ergebnisse der ÖVP bei der Nationalratswahl zeigen – unabhängig davon, wie kompatibel derartige Aktionen mit der selbst auferlegten Menschlichkeit sind. Die Politperformance erinnerte traurigerweise an jene von Rendi-Wagners Vorgänger und wird den Idealen der Sozialdemokratie nicht gerecht. Einer Bewegung, die einst groß war an empathischen Persönlichkeiten wie beispielsweise Hertha Firnberg, der ersten sozialdemokratischen Ministerin Österreichs, die es nicht nötig hatte, von „Menschlichkeit!“ zu reden. Empathie zu leben oder Empathie zu mimen, das ist die Frage. Der amerikanische Psychologe und Experte für emotionale Intelligenz Daniel Goleman stellte in diesem Kontext sinngemäß fest: Wer Erfolg im Leben haben will, muss das emotionale Alphabet beherrschen, denn was nützt ein hoher IQ, wenn man auf sozial-emotionaler Ebene gröbere Defizite hat?

Daniel Witzeling, (* 1985) Psychologe und Sozialforscher. Leiter des Humaninstituts Vienna.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2019)

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