Tschechien: Der Fürst wird zum Prager Königsmacher

Fuerst wird Prager Koenigsmacher
Fuerst wird Prager Koenigsmacher(c) APA REUTERS EPA / Montage: Die Presse
  • Drucken

Die Tschechen haben den etablierten Parteien bei der Parlamentswahl schallende Ohrfeigen verpasst. Wahlsieger wurde einer, den die Wähler für unbestechlich, anständig und weltoffen halten: Karl Schwarzenberg.

Den ganzen Samstagabend schmunzelte er: Karl Fürst Schwarzenberg, der Grandseigneur der tschechischen Politik. Nicht dass er vor den Parlamentswahlen nicht optimistisch gewesen wäre, was das Ergebnis für die von ihm geführte neue konservative Partei TOP 09 anlangt. Aber ein solch phänomenales Resultat hatte er sich denn doch in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

Aus dem Stand brachte er es auf fast 17 Prozent, rückte damit den beiden bisherigen Großparteien, den Sozialdemokraten (ČSSD, 22Prozent) und der liberal-konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS, 20 Prozent), dicht auf die Fersen. In der Stunde des Erfolgs bewahrte er jedoch die ihm, dem Spross einer der ältesten böhmischen Adelsfamilien, eigene Contenance. Kein Wort der Häme gegenüber den etablierten Parteien, die vom Wähler furchtbar abgestraft wurden, kam über seine Lippen. Kein lauter Jubel über das eigene grandiose Comeback.

„Ein guter Tag für Tschechien“

Eher leise und in dem für ihn typischen etwas altmodischen Tschechisch sprach er von einem „guten Tag für Tschechien“ und von „einer großen Verantwortung“, die seiner Partei auferlegt worden sei. Er wusste, bei wem er sich vor allem zu bedanken hatte: bei den Jungwählern, die sich in ihn, den mit Abstand ältesten Spitzenkandidaten dieser Wahlen, regelrecht verknallt hatten. 29 Prozent dieser jungen Leute votierten für Schwarzenberg. Das war mit Abstand der Spitzenwert.

Schwarzenberg schaffte zudem etwas, das noch nie jemandem seit der Samtenen Revolution vor 20 Jahren gelungen war: Er gewann den wichtigen Prager Wahlkreis, der bisher als uneinnehmbare Festung der Konservativen galt.

Anders als die zweite Parteineugründung „Öffentliche Angelegenheiten“ (VV) des populären Ex-TV-Moderators Radek John zog Schwarzenberg nicht nur Protestwähler an, die der alten politischen Elite überdrüssig geworden waren. Schwarzenberg, von den Tschechen ebenso knackig wie liebevoll nur „der Fürst“ genannt, wurde so massiv gewählt, weil er etwas verkörpert, was seine Landsleute bei den anderen schmerzlich vermissen: Unbestechlichkeit, Würde, Weltoffenheit und Anstand.

Der Fürst, das wissen seine Landsleute, gehört als Multimillionär zu den Betuchtesten in Tschechien. Er hat es nicht nötig, für politische Entscheidungen die Hand aufzuhalten. Und er hat eine Vergangenheit, die sie schätzen. In den Zeiten der tiefsten roten Diktatur knüpfte er vom Ausland den Kontakt zu Bürgerrechtlern, half ihnen, wo er konnte. Der heute 72-Jährige kehrte nach der Wende 1989 nach Prag zurück, war zunächst Kanzleichef beim damaligen Präsidenten Václav Havel, später betätigte er sich als Zeitungsverleger und Unternehmer. Die Grünen benannten ihn 2006 als Außenminister im Kabinett Topolanek. Präsident Václav Klaus wollte ihn nur ungern ernennen, sah den Tschechen mit Schweizer Pass irrtümlich als Österreicher, vermutete mangelnde Loyalität gegenüber der Republik und musste später seine Meinung völlig revidieren: Schwarzenberg sei der beste Außenminister, den das Land je gehabt habe.

Immer wieder hörte er die Wähler mit Politikern hadern. „Sie sind enttäuscht von der politischen Klasse“, fasste er seine Erlebnisse aus den Kneipen zusammen.

Blut, Schweiß und Tränen

Dem stellte er die Werte entgegen, die im Namen seiner Partei verankert sind: TOP steht für die tschechischen Begriffe für Tradition, Verantwortung und Prosperität. Was er den Tschechen versprochen hat, kann man mit Blut, Schweiß und Tränen vergleichen: ein radikales Sparprogramm, damit das Land nicht in griechische Verhältnisse abrutscht. Seine Partei schickte an alle Haushalte einen fingierten Zahlschein über umgerechnet fast 5000 Euro – der Summe an Staatsschulden, mit der jeder Bürger belastet ist. Das hat manche schockiert, viele aber wachgerüttelt.

Jetzt wird Schwarzenberg zum Königsmacher einer bürgerlichen Koalition. Noch am Wahlabend einigte er sich in einem noblen Gasthaus auf der Prager Kleinseite mit dem Chef der ODS und potenziellen Premier, Petr Nečas, über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Beide werden dazu auch die Partei von Radek John einladen. Gemeinsam könnten sie eine satte Mehrheit zusammenbringen, wie Tschechien sie seit vielen Jahren nicht hatte.

Vier Parteichefs traten ab

Dass die Sozialdemokraten nominell die Gewinner der Wahlen waren, ist nur noch eine Randnotiz wert. Sie blieben weit hinter ihren Erwartungen zurück. Zu einer Koalition mit den Altkommunisten reicht es nicht.

Der hochambitionierte Sozialistenchef Jiři Paroubek kündigte tief enttäuscht seinen Rücktritt an – wie insgesamt am Wahlabend gleich die Chefs von vier Parteien auf einmal ihren Hut nahmen. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass sich in Tschechien bei diesen Wahlen etwas Außergewöhnliches getan hat. Kommentar auf Seite 27

AUF EINEN BLICK

Nach der Parlamentswahl in Tschechien haben die Parteien
des Mitte-Rechts-Lagers die Gelegenheit zur Bildung einer stabilen Koalition. Die konservative ODS (20,2%), die rechtsliberale TOP 09 (16,7%) und die rechtspopulistische VV („Öffentliche Angelegenheiten“, 10,9%) kämen zusammen auf 118 Mandate im 200 Sitze umfassenden Parlament.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2010)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.