Mein Freitag

Die Schnürlsamthose und die Kastanien in der Hand

Abschied liegt in der Luft, aber es ist kein endgültiger.

Es gibt Tage, da begegnen einem die Toten, so plötzlich und unerwartet, dass einem zuerst die Luft wegbleibt und dann das Blut in den Ohren rauscht. Sie sind es natürlich nicht wirklich. Es ist die Hose, die jemand anhat. Die Stimme eines Unbekannten, der Duft einer fremden Frau. Details, die einem gar nicht so aufgefallen sind an den Menschen, als sie noch lebten, und die nun eine Flut an Erinnerungen auslösen.

Wer hätte sich gedacht, dass es einmal die Schnürlsamthose ist, die einen an den Vater erinnert, und die Art, wie jemand das Telefon abhebt, an den Kollegen. Auch das Parfum der Tante ist einem nie wirklich bewusst gewesen und nun, wenn man es riecht, sitzt sie da und gestikuliert und lacht.

Es gibt genug Situationen, bei denen man bewusst an Menschen denkt, die nicht mehr da sind, und sie vermisst, aber es sind diese ungesteuerten Erinnerungsblitze, die deutlich machen, dass man mit der Lücke, die der Tod gerissen hat, zwar gut weiterleben kann, sie aber niemals zuwächst. Das ist so traurig wie schön, weil sie dem Ende das Endgültige nimmt. Und die kleinen, alltäglichen Erinnerungen oft jene sind, die einen zum Lächeln bringen und nicht zum Weinen.

Der Herbst gehört bei all seiner Schönheit zu den nachdenklicheren Zeiten. Abschied liegt im wahrsten Sinn des Wortes in der Luft. Die Freundin zieht sich wie immer in ihr herbstliches Schneckenhaus zurück. Die Möbel, auf denen man gelegen ist und sein Gesicht in die Sonne gehalten hat, werden mit unansehnlichen Plastikplanen bedeckt zu grotesken Skulpturen. Die Blätter sind zuerst schön bunt und verstopfen dann als braune Klumpen die Dachrinne.

Aber was müsste man erfinden, wenn es es noch nicht gäbe? Wie sich eine Kastanie in der Hand anfühlt, wenn man sie umschließt. Das wiegt alles auf.

E-Mails an:friederike.leibl-buerger@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2019)

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