Ab Samstag soll in der chinesischen Sonderverwaltungszone das Tragen von Gesichtsmasken bei Demonstrationen verboten sein, um die Gewalt einzudämmen. Es sei der „Anfang vom Ende Hongkongs“, kritisiert der Aktivist Joshua Wong.
Nach monatelangen Protesten in Hongkong will die Regierung die Lage mit einem Vermummungsverbot unter Kontrolle bringen. Dafür greift sie zum ersten Mal seit Beginn der Massendemonstrationen auf Notstandsgesetze zurück. Ab Samstag sei das Tragen von Gesichtsmasken untersagt, kündigte Regierungschefin Carrie Lam an. Die Stadt befinde sich in einer ernsten Gefahrensituation. Ziel sei es, Gewalt zu unterbinden. Sollte dies mit dem Vermummungsverbot nicht gelingen, müssten noch andere Maßnahmen ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
Aktivisten haben das geplante Verbot in einem Eilantrag vor das Oberste Gericht gebracht. Der frühere Studentenführer Lester Shum und der "Langhaar" genannte Veteran der Demokratiebewegung, Leung Kwok-hung, versuchten am Freitagabend, noch vor dem Inkrafttreten des Vermummungsverbotes um Mitternacht eine einstweilige Verfügung zu erreichen. Wie Shum auf seiner Facebookseite berichtete, wollte sich das Gericht tatsächlich noch am Abend damit befassen, was ungewöhnlich ist.
Regierungschefin Lam argumentierte, damit, dass die meisten Demonstranten Masken tragen würden, um ihre Identität zu verbergen. Deshalb seien sie so "ungezügelt" geworden. Die Führung könne es aber nicht dulden, dass sich die Gewalt verschärfe. Sollte die Lage weiter eskalieren, müssten andere Möglichkeiten zur Beruhigung gefunden werden. Es gebe dafür aber noch keine Pläne. Es werde auch nicht grundsätzlich der Notstand über die Stadt verhängt, betonte Lam. Das Gesetz ermögliche es aber Behörden, jegliche Anordnungen "im öffentlichen Interesse" zu erlassen.
Wieder soll ein Demonstrant angeschossen worden sein
Demokratie-Aktivisten kritisierten Lams Rückgriff auf das Notstandsgesetz, das seit mehr als 50 Jahren nicht mehr zur Anwendung gekommen war. Der bekannte Demokratieaktivist Joshua Wong sagte, das Gesetz „markiert den Anfang vom Ende Hongkongs“ . Es sei eine Ironie, dass "eine Waffe der Kolonialzeit von der Regierung Hongkongs und der Kommunistischen Partei Chinas genutzt wird.“ Nach der Verkündung des Verbots protestierten am Freitag erneut Tausende maskierte Demonstranten gegen die pekingtreue Regierung.
Die Gewalt in Hongkong nahm Freitagabend kein Ende. Wie "Hong Kong Free Press" am Freitag berichtete, wurde ein junger Mann von einem Polizeibeamten, der nicht im Dienst war, in den linken Oberschenkel geschossen. Wie schwer er verletzt wurde, war nicht bekannt. Die Polizei bestätigte den Vorfall zunächst nicht. Als Demonstranten die Straßen im Bezirk Yuen Long besetzt hatten, sei der Polizist mit seinem privaten Auto vorgefahren, wurde berichtet. Laut "Apple Daily" soll er einen Demonstranten mit dem Auto angestoßen haben und sei von Demonstranten umringt worden. In dem folgenden Chaos habe der Polizist seine Waffe gezogen und geschossen.
Unklar, wie Verbot durchgesetzt werden soll
Unklar blieb zunächst, wie das Vermummungsverbot durchgesetzt werden soll. Schließlich gehen aus Furcht vor Krankheitserregern viele der 7,4 Millionen Einwohner von Hongkong grundsätzlich nur mit einem Mundschutz vor die Tür. Der Ausbruch der Atemwegskrankheit SARS im Jahr 2003 ängstigt noch immer viele Menschen in der dicht besiedelten Wirtschaftsmetropole.
Das UN-Menschenrechtsbüro in Genf mahnte die Führung in Hongkong zu Mäßigung. "Das Recht auf friedliche Versammlung ist ein Grundrecht, das ohne Einschränkungen in größtem Umfang sichergestellt werde sollte", sagte eine Sprecherin.
Insgesamt greift die Führung in Hongkong inzwischen härter durch. So erhielten Polizisten laut einer neuen Dienstvorschrift kürzlich mehr Handlungsspielraum, was den Einsatz von Gewalt angeht. "Die Polizei wird immer brutaler und die Einführung eines Vermummungsverbots soll uns vom Demonstrieren abhalten", sagte ein 27-Jähriger, der in der Finanzbranche arbeitet.
Die Proteste hatten vor rund vier Monaten als Widerstand gegen einen inzwischen zurückgezogenen Gesetzentwurf für Auslieferungen Beschuldigter an die Volksrepublik begonnen. Doch die Demonstranten sehen auch allgemeine Freiheiten gefährdet, die die ehemalige britische Kronkolonie genießt. Inzwischen richten sich die Proteste auch gegen die Regierung in Peking. Hongkong ist seit 1997 eine Sonderverwaltungszone der Volksrepublik.
(APA/Reuters/AFP/dpa)