Interview

„Durch Selfies wird die Welt zur Bühne“

Schöne neue Bilderwelt: Das am Freitag eröffnete „nofilter_museum“ in der Wiener Innenstadt bietet seinen Besuchern eine Kulisse für kreative Selfies.
Schöne neue Bilderwelt: Das am Freitag eröffnete „nofilter_museum“ in der Wiener Innenstadt bietet seinen Besuchern eine Kulisse für kreative Selfies.(c) Akos Burg
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Kulturwissenschaftler Wolfgang Ullrich will die Kunst von zu hohen Ansprüchen befreien. Ein Gespräch über die neue globale Bilderwelt, Künstler auf Instagram, das Missverständnis mit der Kreativität und Leonardo als geile Marke.

Die Presse: Ästhetisch sensible Menschen klagen über Selfies. Sie klagen nicht mit?

Wolfgang Ullrich: Selfies sind Bilder, die einen mündlichen Charakter haben. Das hat die Digitalisierung erstmals ermöglicht. Alle Menschen können nun Bilder machen, verändern und mit ihnen kommunizieren, fast so schnell wie mit Sprache. Bisher war unsere Kultur sehr logozentrisch. Jetzt können auch Menschen präsent sein, die andere Begabungen haben oder in einem Land leben, dessen Sprache sie nicht beherrschen. Das emanzipiert sie. Die Codes der Bildkultur funktionieren interkulturell. So entsteht ein globales Bewusstsein.

Was erzählen Selfies?

Man tritt durch sie in Dialoge ein. Wenn ich mein Gesicht verziehe, exponiere ich mich, mache mich hässlicher – und erwarte vom Adressaten ein Selfie zurück, das meinen Ausdruck etwa parodiert oder steigert.

Ändert sich so auch unser Menschenbild, im Vergleich zu dem in der Porträt-Ära?

Ja. Bei Porträts ging es um ein wahres Selbst, ein unveränderbares Inneres, das sich eröffnen soll. Für Selfies schlüpfe ich in Rollen und zeige so, dass ich eine interessante Person bin. Mimik und Körpersprache gewinnen an Prägnanz. Denken Sie an die Gesten von Fußballern, die ein Tor schießen – da hat heute fast jeder seine eigene. Freilich gab es in der Geschichte schon öfter Kulturen der Masken, der Verkleidung, des Rollenspiels, in denen man die ganze Welt als Bühne sah. Im Frankreich und England des 17./18. Jahrhunderts stand so das öffentliche Leben im Vordergrund. In der Moderne wurde das Private, Authentische, Unverstellte höher geschätzt. Das kippt jetzt wieder.

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