Britisch-karibische Kriegsgeschichte

Trauergäste für Beerdigung von 100-jährigem Veteranen gesucht

Broughton House
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Oswald Dixon kam 1944 aus Jamaika zur Royal Air Force und war dort Mechaniker. Da er keine Verwandten hat, lädt das Pflegeheim nahe Manchester, wo er zuletzt lebte, öffentlich zum Begräbnis am Mittwoch ein. Viele Medien schlossen sich dem an. Seine Geschichte wirft auch Licht auf die vergessene bis ignorierte Teilnahme schwarzer Karibikbewohner an den Weltkriegen in Europa.

Das ist eine der Geschichten der rührenden bis traurigen Art: In England hat ein Altersheim nahe Manchester nach dem Tod eines Heimbewohners öffentlich zur Teilnahme an dessen Bestattung eingeladen, die am Mittwoch (9. Oktober) stattfindet.

Grund: Der Ende September im gesegneten Alter von 100 Jahren verstorbene Mann namens Oswald Dixon hat in Großbritannien keine Familie, sonstigen Verwandten oder Freunde außerhalb des Heimes. Er war indes einst mehrfach ausgezeichnetes Mitglied der britischen Luftwaffe. Anlässlich seines 100. Geburtstages heuer im April hatte ihm Queen Elizabeth noch ein Glückwunschtelegramm geschickt; sie selbst ist auch schon 93.

Die Verwandtenlosigkeit Dixons in Großbritannien erklärt sich zumindest zum Teil auch aus seiner fernen Herkunft: Er stammt aus Jamaika, das 1655 bis 1962 britische Kolonie war. 1944, damals war Dixon 25, trat er in Kingston, der Hauptstadt der Karibikinsel, in die Royal Air Force ein, und wurde noch während des Weltkriegs nach England gebracht. Er arbeitete dort Jahrzehnte bis zu seiner Pensionierung als Flugzeugmechaniker in der RAF und als Ausbildner für Mechaniker und sonstiges Bodenpersonal.

Dixon, der allein lebte und erst 2015 wegen beginnender Demenz und Erblindung in das Heim namens Broughton House in Salford, einem Vorort von Manchester in Nordengland, zog, war nie verheiratet und hatte bei seinem Tod auch keine Lebenspartnerin. Er hatte keine Kinder, und Spuren zu möglichen Verwandten in seiner früheren Heimat Jamaika haben sich offenbar verlaufen.

„Die richtigen Dinge für andere tun"

Er galt im Heim als sehr beliebt. Bei seiner großen 100er-Feier im April, die nach karibischem Stil ausgerichtet wurde, sagte er, er sei stolz, diesen altersmäßigen Meilenstein erreicht zu haben. Und: „Ich habe immer versucht, das Leben so zu leben, wie man eben leben sollte, indem man die richtigen Dinge für andere Menschen tut."

Broughton House

Chris Lindsay, der Verwalter des Heims, selbst ein pensionierter Offizier der Luftwaffe, rief also öffentlich zur Teilnahme an der Bestattung Dixons auf dem Agecroft-Friedhof in Salford am 9. Oktober auf. Zahlreiche britische Medien und soziale Medien haben den Aufruf übernommen, es wird mittlerweile mit einem ziemlichen Andrang gerechnet.

Spezialheim für Veteranen

Dabei werden freilich nicht wenige Teilnehmer auch aus dem Heim selbst stammen und dem Mann die letzte Ehre erweisen: Das Broughton House, ein ziemlich beeindruckender Bau mit viel Grün, ist nämlich ein dezidiertes Pflege- und Altersheim für ehemalige Militärmitglieder bzw. Veteranen.

Broughton House

Es war 1916/17 von einem Arzt als Spital und Langzeitpflegeheim für Verwundete und Kriegsversehrte gegründet worden. Schon der erste im Mai 1917 dort eingelieferte Mann, ein einfacher Infanterist namens Charles Fox (*1893), dessen Beine bei Ypern (Belgien) von einer deutschen Granate zerfetzt worden waren, lebte bis zu seinem Tod 1942 in dem teils staatlich, teils durch Spenden finanzierten Haus. Seit 1917 hatte Broughton House eigenen Angaben zufolge mehr als 8000 Bewohner, derzeit sind es etwas mehr als 40 Personen.

Broughton House

In den zwei Weltkriegen dienten jeweils Tausende Jamaikaner und Bewohner anderer britischer Besitzungen in der Karibik im britischen Militär. Beidesfalls ist die Rede von mehr als 10.000 Mann, sie wurden großteils in die Armee übernommen, seltener in die Luftwaffe, fast gar nicht in die Marine.

Britanniens westindische Regimenter

Bei Kriegsausbruch 1914 bestand in der Karibik bereits das 1795 gegründete „West India Regiment", dessen mehrere Tausend Mann darauf in Afrika bei der Besetzung und Sicherung der deutschen Kolonien dort eingesetzt wurden. 1915 wurde aus Freiwilligen ein zweites karibisches Regiment gegründet, das British West Indies Regiment, dessen Maximalstärke mit mehr als 15.000 Mann angegeben wird. Dessen Truppen kamen etwa nach Ägypten, von wo aus sie gegen die Türken in Palästina und Jordanien kämpften und für ihre Tapferkeit gelobt wurden, sowie nach Frankreich, Belgien und Italien.

Imperial War Museum/gemeinfrei
Imperial War Museum/gemeinfrei

Beide Regimenter wurden in den 1920er-Jahren wieder aufgelassen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde erst 1944 wieder eine karibische Empire-Militäreinheit gegründet, das Caribbean Regiment. Ein Mitgrund für diese Verzögerung angesichts des Kriegsausbruchs 1939 war ein durchaus auch rassistisch motivierter Widerstand in der britischen Militärführung, den es im Ersten Weltkrieg zwar auch schon gegeben hatte, der aber damals viel schneller überwunden wurde, Berichten zufolge auch auf Druck von König George V. höchstselbst. Fast alle der karibischen Soldaten und Unteroffiziere waren schließlich Schwarze.

Imperial War Museum/gemeinfrei

Dieses Regiment kam stärkenmäßig freilich nie auf mehr als etwa 1200 bis 2000 Mann hinaus - auch, weil jene Tausenden Freiwilligen aus der Karibik, die für das Empire kämpfen wollten (darunter etwa auch aus Trinidad, Barbados, Grenada, British Guiana, Dominica, Belize, Bahamas) sich schon in den Jahren zuvor bei lokalen Stützpunkten gemeldet hatten oder gleich eigenständig nach Großbritannien gefahren waren. In beiden Kriegen waren die Motive der Männer, als Kolonialbewohner für London in den Krieg in der Ferne zu ziehen, wirtschaftliche und sozialpolitische: Einerseits war die Wirtschaftslage vor Ort schlecht und die Arbeitslosigkeit hoch; andererseits erhoffte man sich durch den Dienst eine soziale Aufwertung als Person, als Menschengruppe und als Kolonie, was die Moral der Soldaten stärkte.

Das Caribbean Regiment wurde zwar noch über Algerien nach Italien geschickt, aber nicht mehr in Gefechte verwickelt. Bereits 1946 wurde es nach einer kurzen Zwischenstation in Ägypten aufgelöst.

Probleme mit Klima, Krankheiten, Rassismus

Viele der Männer, die nach Europa gekommen waren, fanden abgesehen vom Mittelmeerraum und Nordafrika die Wetterverhältnisse schwierig und wurden speziell in kühleren Jahreszeiten leicht krank. Als im Ersten Weltkrieg die ersten Bataillone des British West Indies Regiments Ende 1915 im Raum der kleinen südenglischen Küstenstadt Seaford (Grafschaft East Sussex) ausgebildet wurden, war ihr gesundheitlicher Zustand angesichts des kühlen und regnerischen Wetters unterdurchschnittlich schlecht und es gab viele Todesfälle etwa durch Grippe und Lungenentzündungen.

Bis Kriegsende im November 1918 fielen 185 Männer dieses Regiments, aber nicht weniger als 1071 starben an Krankheiten oder Erfrierungen.

Abgesehen davon berichteten viele später von mehr oder weniger ausgeprägten Diskriminierungen durch weiße Offiziere und Mannschaften. Die Sache gipfelte nach dem Ersten Weltkrieg Ende 1918 sogar in einer Revolte in der süditalienischen Hafenstadt Tarent: Dorthin waren die karibischen Einheiten aus Frankreich und Italien verlegt worden, um abzurüsten und in ihre Heimat verschifft zu werden. Sie wurden von den übrigen britischen Truppen dort verächtlich behandelt, durften weder deren Kantinen noch das Militärspital benutzen, mussten Klos putzen und vorrangig niedrige Arbeiten verrichten und wurden von Solderhöhungen ausgenommen.

Im Dezember begannen sie zu streiken, Unteroffiziere und Mannschaften brachten Beschwerden vor, darunter beim Kommandeur des britischen Camps in Tarent. Der war General Carey Bernard, ein weißer Südafrikaner, der spöttisch antwortete, dass sie bloß „Nigger" seien und hier ohnehin besser verköstigt und behandelt würden, als es „Niggern" sonst zustehe. In den folgenden Tagen streikten die karibischen Soldaten und es kam beiderseits zu Gewaltakten, darunter einem Mord, worauf General Bernard Verstärkungen anforderte und den Aufstand niederschlug. Ein Aufständischer wurde hingerichtet, etwa 50 zu Haftstrafen bis zu fünf Jahren verurteilt.

Revolte in Tarent 1918 schürte Antikolonialismus

Die Revolte in Tarent und das Erlebnis, im Empire trotz ihres Engagements für Krone und Vaterland als Menschen zweiter Klasse zu gelten, nährten antikoloniale Tendenzen und schwarzen Nationalismus in der Karibik. Es gab zeitweise soziale Unruhen, heimgekehrte Soldaten griffen in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg wiederholt britische Einrichtungen sowie Häuser und Geschäfte von Weißen an, etwa in Belize und auf Trinidad.

Viele der karibischen Soldaten blieben nach den Kriegen dennoch in Großbritannien, was sich für sie oft auch nicht besonders leicht erwies, denn sie kämpften vielfach mit sozialen Widerständen wegen ihrer Herkunft. Diese wurden in jenen Fällen sogar zumindest zeitweise noch größer, wenn sie mit weißen Frauen ausgingen oder diese sogar heirateten.

Geschichtsverdrängung

Heute heißt es immer wieder, dass in der britischen Öffentlichkeit und der offiziellen Geschichtsschreibung der Beitrag der karibischen Kolonien für den Krieg an der Seite der Alliierten unterschätzt bis überhaupt verdrängt werde, und dass auch die in Großbritannien gebliebenen schwarzen Soldaten der Weltkriege nie gebührend behandelt und erwähnt worden seien.

Vielleicht erhält der Jamaikaner Oswald Dixon jetzt entsprechende Ehrungen, wenn er am Mittwoch zu Grabe getragen wird.

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