Gastkommentar

Die Schuldenbremse gehört in die Verfassung

(c) Peter Kufner
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Replik auf den Gastkommentar von Franz Nauschnigg (OeNB): Warum eine kluge Budgetpolitik wichtiger wäre als weitere Verschuldung.

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In seinem Gastkommentar („Warum Schuldenbremse keine so gute Idee ist“, „Die Presse“ vom 28. August 2019) verweist Franz Nauschnigg auf gewichtige Gründe, warum eine Schuldenbremse nicht in die Bundesverfassung sollte. Allerdings werden durchaus interessante Sachargumente durch mindestens acht Seitenhiebe auf die Politik von Schwarz-Blau bzw. Türkis-Blau, auf Neoliberalismus usw. etwas entwertet. Nachstehend möchte ich die dargestellten Gründe dahingehend überprüfen, ob diese tatsächlich entscheidend gegen eine Schuldenbremse sprechen.

► 1. Der Staat kann nicht auf Konjunkturabschwung reagieren: Dieses Argument wird gern von „Halb-Keynesianern“ gegen Schuldenbremsen vorgebracht. Damit gemeint: Politiker, die zwar die eine Hälfte der Theorien von Lord Keynes bejubeln – notwendige antizyklische Anhebung der Staatsausgaben in einer Rezession, das berühmte „deficit spending“ –, aber gern auf die unangenehmere andere Hälfte vergessen  – nämlich auf Zurückfahren der Staatsausgaben im Aufschwung. Seit 1970, unter überwiegend SPÖ-geführten Regierungen, sind insgesamt die Staatsschulden doppelt so stark gestiegen wie das Bruttoinlandsprodukt, ob nun Rezession oder Boom angesagt war. Wahlwerbende Politiker verteilen am liebsten Zuckerbrot – schon deshalb erscheint die Peitsche der Schuldenbremse in der Verfassung dringend geboten. Die Politik der türkis-blauen Regierung, keine neuen Schulden zu machen, war dazu ein erster Ansatz. Die „schuldengebremste“ Schweiz zeigt, wie es geht.

Nauschnigg hat zwar recht: Nach der Finanzkrise 2008 war unbestritten eine antizyklische Fiskalpolitik erforderlich, um die Fehler der 1930er-Jahre zu vermeiden. Muss man aber wegen der Gefahr künftiger Finanzkrisen auf eine Schuldenbremse verzichten? Nein! Der Verfassungsgesetzgeber hat zwei Möglichkeiten. Entweder er definiert vorweg klare wirtschaftliche Parameter, bei denen die Schuldenbremse vorübergehend (!) außer Kraft tritt. Oder er installiert eine Schuldenbremse ohne Ausnahmen – im Vertrauen darauf, dass in einer echten Krisensituation das Parlament wiederum mit einer Zweidrittelmehrheit ohnedies eine temporäre Aussetzung der Schuldenbremse beschließen kann.

► 2. Zukunftsinvestitionen werden behindert: Die erforderlichen Zukunftsinvestitionen werden vor allem dadurch behindert, dass wir leider die Schuldenbremse nicht schon vor Jahrzehnten eingeführt haben. Aber das ist nur Jammern über vergossene Milch und löst das Problem nicht. Etwas Spielraum kann vielleicht durch intelligente Umschichtungen der Staatsausgaben geschaffen werden. „Presse“-Leser, insbesondere Urschitz-Leser, ahnen, was kommt: Im wuchernden Förderdschungel, bislang durch keine funktionierende Transparenzdatenbank gelichtet, können sicher einzelne Milliarden gehoben werden. Gut verdienende Wiener werden schnell mit 42 Prozent Grenzsteuersatz belastet, zugleich besteht Anspruch auf Wohnbauförderung. Warum nicht Steuern hinunter und Fördergrenzen etwas hinunter? Wer sagt, dass nötige Zukunftsinvestitionen allein vom Staat zu finanzieren sind? Bevor Pensionskassen künftige Pensionen in negativ rentierenden Staatsanleihen entwerten lassen müssen, sollte eine kreative Regierung diesen auch verstärkt Möglichkeiten von Public Private Partnerships ermöglichen. Vielleicht können Bund, Länder, Gemeinden noch so manche Beteiligung verkaufen und den Erlös nicht gleich konsumieren, sondern in Zukunftsinvestitionen stecken.

► 3. Potenzielle Budgetbelastungen werden nicht berücksichtigt: Inwiefern die von Nauschnigg erwähnte Krise der Hypo Alpe Adria gegen eine künftige Schuldenbremse spricht, leuchtet mir nicht ein. Haben da nicht exzessive Landeshaftungen entscheidend mitgespielt, von allen Parteien im Landtag beschlossen? Die öffentliche Hand sollte eben nicht zu viel Schulden aufnehmen oder Haftungen zusagen – Punkt.

Nauschnigg prangert auch ein Versagen von Türkis-Blau in der Klimapolitik an, laut dem von ihm zitierten Climate Change Centre Austria droht sogar ein Gesamtschaden von 30 bis 40 Milliarden Euro. Das konnte tatsächlich diese Regierung binnen 17 Monaten verursachen, alle Achtung – oder geht dies auch auf frühere Versäumnisse zurück? Dass sich andererseits die Republik mehr als 69 Milliarden Euro allein durch die extrem niedrigen Zinsen gegenüber früher ersparen wird, sollte auch erwähnt werden. Klima ist natürlich „in“ – aber drohen nicht auch langfristige Budgetbelastungen durch unqualifizierte Zuwanderung und vor allem durch Pensionsausgaben, auch weil bei großkoalitionär vereinbarten Sonderpensionen viel zu spät und zu zaghaft reagiert wurde? Das Wort „Pensionen“ kommt in Nauschniggs Kommentar überhaupt nicht vor – vielleicht, weil der Verfasser aus dem bisherigen Pensionsparadies Nationalbank kommt?

In einem Punkt ist Nauschnigg zuzustimmen, zumindest in einer Momentaufnahme: Da die Zinsen niedriger sind als das Wachstum, führt eine Schuldenaufnahme auch zu keiner intergenerationalen Umverteilung. Die Republik Österreich kann sich derzeit für 15 Jahre um null Prozent verschulden, Finanzierungskosten also null Komma Josef. Da wäre es doch wirklich verlockend, Schulden zu machen – wann sonst? Hier kann ich mir eine einzige begründete Ausnahme zur Schuldenbremse vorstellen: mit Aktien „besicherte“ Staatsanleihen zur ergänzenden Finanzierung der Pensionen, aber auch für Zukunftsinvestitionen. Österreich könnte derzeit gratis zehn Milliarden Euro auf 15 Jahre aufnehmen und den Betrag zu 90 Prozent passiv in internationale Aktien, zu fünf Prozent in österreichische Aktien und zu fünf Prozent in Entwickler von Zukunftstechnologien für den Klimawandel investieren. Die jährlichen Dividenden dürften vorsichtig geschätzt mindestens 200 Millionen Euro betragen, macht immerhin drei Milliarden binnen 15 Jahren.

Im Jahr 2034 dürfte mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit, wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit, der Wert der Beteiligungen höher sein als das aufgenommene Anleihenominale. Der erwirtschaftete Überhang kann dann als Zuschuss zur Finanzierung der Pensionen verwendet werden. Da sich österreichische Staatsanleihen erfreulicherweise international gut verkaufen, hätte auch das Ausland ordentlich dazu beigetragen. Derartig extrem günstige Anleihekonditionen erinnern an einen „free lunch“ – diese Chance sollte daher bald genützt werden. Für Private wäre eine derartige Strategie zu riskant, aber ein Staat muss kalkulierte Risken eingehen – viel riskanter wäre es, den Kopf weiterhin in den Sand zu stecken. Derartige durch langfristige Aktieninvestments gedeckte Staatsanleihen sehe ich als einzige sinnvolle Ausnahme zur Schuldenbremse, ansonsten kann ich die Aussage von Josef Urschitz („Hilft uns ein Boom auf Schulden?“, „Die Presse“ vom 8. 9. 2019) nur unterstreichen: Besser wäre es freilich, die für Investitionen notwendigen Mittel durch kluge Budgetpolitik aufzubringen als durch weitere Verschuldung.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2019)

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