Kino

„Nobadi“ und „Chaos“: Flüchtlinge im Schrebergarten

Kraftvoll aufspielende Darsteller: Borhanulddin Hassan Zadeh als afghanischer Flüchtling und Heinrich Trixner als misstrauischer Pensionist in „Nobadi“ von Karl Markovics.
Kraftvoll aufspielende Darsteller: Borhanulddin Hassan Zadeh als afghanischer Flüchtling und Heinrich Trixner als misstrauischer Pensionist in „Nobadi“ von Karl Markovics.(c) Thimfilm
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Zwei ganz unterschiedliche österreichische Filme über Flüchtlinge – „Nobadi“ von Karl Markovics spinnt eine Brachialparabel, „Chaos“ will Versehrtheit ästhetisch vermitteln.

Man kann darüber streiten, ob der österreichische Film die Flüchtlingskrise und ihre Auswirkungen angemessen ins Bild gesetzt hat. Unhaltbar wäre aber der Vorwurf, er habe die Augen vor ihr verschlossen. Seit 2015 sind etliche heimische Laufbildarbeiten entstanden, die Flucht und Migration in den Blick nehmen, Einzelschicksale und Gesellschaftsechos aus verschiedensten Perspektiven beleuchten: aktivistische Dokus wie „Last Shelter“, besonnene Stimmungsbilder wie „Die bauliche Maßnahme“, selbst Allegorisches wie die deutsche Koproduktion „Styx“. In letztere Kerbe schlägt nun auch „Nobadi“, der dritte Regiewurf des Schauspielers Karl Markovics.

Im Grunde ist es ein Zweipersonenkammerspiel: Leicht abgeändert wäre die Geschichte sogar bühnentauglich. Großteils spielt sie auf der Parzelle eines Schrebergartens, wo der steinalte, aber nach wie vor relativ rüstige Rentner Heinrich (TV-Veteran Heinz Trixner) sein einsames Dasein fristet. Soeben hat der treue Hund das Zeitliche gesegnet: Jetzt tickt die Todesuhr noch lauter als zuvor. Ein Grab muss jedenfalls geschaufelt werden. Und weil sich der afghanische Flüchtling vor dem Siedlungstor (Borhanulddin Hassan Zadeh) mit drei Euro die Stunde abspeisen lässt, darf er zum Krampen greifen. Zunächst setzt es erwartbaren Konflikt zwischen dem cholerischen Herren und seinem herzhaften Knecht. Dann ebenso erwartbare Annäherung. Trotzdem kommt alles anders als gedacht.

Der Parabelcharakter des auch zeitlich kompakten Films prangt von Anfang an unverhüllt. Schon der Name von Heinrichs Kleingartenverein kündet davon, gleichwohl dieser auf der Schmelz tatsächlich existiert: „Zukunft“. Wie so oft dient die Laubeninsel hier als Metapher für kleinbürgerliche Abkapselung, ihr Bewohner erscheint als Paradebeispiel eines misstrauischen und verbitterten Grantlers, der bloß befiehlt, beschuldigt und bedroht. Diese Fassade bröckelt jedoch schnell, als der Gedungene Paroli bietet. Heinrich behirnt dessen Menschlichkeit und wittert eine Chance, Buße zu tun, vielleicht auch für vergangene Vergehen – koste es, was es wolle.

Alles hat hier Symbolgehalt

Das führt „Nobadi“ irgendwann auf herbes Territorium, das gemeinhin weniger ehrbaren Filmgenres vorbehalten ist. Besonders stimmig wirkt diese Wendung nicht, sie steht aber durchaus im Einklang mit dem Erzählkonzept. Der Alltagsrealismus, der bereits „Atmen“, das viel gelobte Regiedebüt von Markovics, ausgezeichnet hat, bildet hier den bloßen Aufputz eines Brachialdramas, in dem alles Symbolgehalt hat. Die Dynamik zwischen den typenhaften Protagonisten soll eine Mentalität illustrieren, die die Würde des Anderen selbst im Gestus vermeintlicher Barmherzigkeit nicht anerkennt: Heinrichs persönlicher Flüchtling bleibt immer nur Haustierersatz. Die kraftvoll aufspielenden Darsteller verleihen dem Geschehen zwar Profil, trotzdem ist „Nobadi“ Makrovics' schwächster Film bisher: Sein Verlauf mag unberechenbar sein, die Botschaft ist es nicht.

Ganz anders verfährt die in Damaskus geborene, seit 2015 in Wien lebende Filmemacherin Sara Fattahi in ihrem fiktionalisierten Flüchtlingsporträt „Chaos“, das heuer bei der Diagonale mit dem Spielfilmpreis bedacht worden und nun zeitgleich zu „Nobadi“ angelaufen ist. Statt Gleichnisse zu spinnen, versucht dieser Film, Gefühle zu vermitteln: nämlich die dreier Frauen, die offene Wunden des syrischen Bürgerkriegs im Herzen tragen. Wie durch verdunkeltes Glas blickt die Kamera auf ihre gespenstischen Bewegungen durch dumpfe Nichtorte, die Sicht wird immer wieder fragmentiert, verdeckt, verwischt. Dennoch ist der Zuseher stets ganz nah an den Figuren, taucht in ihre Erinnerungen und spürt ihre tiefe Versehrtheit, die sie auf der Tonspur in Worte zu fassen suchen. Zur Seite steht ihnen Ingeborg Bachmann: Ausschnitte aus einem Radiointerview mit der Dichterin hieven den Schmerz ins Universelle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2019)

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