Zusammenlegung

Kassenreform: Einschränkung der Sozialleistungen befürchtet

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Wird künftig weniger genau geprüft, ob Dienstnehmer korrekt eingestuft sind? Die Kassenreform ist nicht nur vor Gericht strittig.

Wien. Der Verfassungsgerichtshof beschäftigt sich ab Dienstag mit der Prüfung der Krankenkassen-Zusammenlegung. Vor allem die Zusammenführung sämtlicher Prüf-Agenden in der Finanzverwaltung gilt als problematisch.

Durch die Zusammenlegung der Gebietskrankenkassen zur Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) sollen etwa 250 Prüfer der Kassen der Finanzverwaltung dienstzugeteilt werden. Den Einfluss auf die Arbeit der Prüforgane hat in Zukunft also in erster Linie die Finanz. „Diese Übertragung der Dienstverhältnisse ist für die Betroffenen natürlich schwierig“, meint Andrea Mayrhofer. Sie hat die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen ÖGK in der Übergangsphase übernommen. „Aber wir gehen davon aus, dass die Einnahmen für die Krankenkasse nicht zurückgehen.“

Genau das befürchtet aber Michael Aichinger, Vorsitzender des Zentralbetriebsrats der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK): „Die Finanz hat zu wenige Prüfer. Dazu kommt noch, dass viele unserer Leute in absehbarer Zeit in Pension gehen werden.“ Nachbesetzungen stünden dann unter dem Damoklesschwert des politischen Kräftespiels im Ministerium. Aichinger befürchtet, dass vor diesem Hintergrund die Prüfungsdichte abnehmen werde. „Derzeit kann jedes Unternehmen alle drei bis vier Jahre geprüft werden. Künftig könnte dieses Intervall deutlich länger werden.“

Unterschiedliche Prüfungsart

Für Unsicherheit bei den Krankenkassen sorgen auch die unterschiedlichen Grundsätze, nach denen geprüft wird: Die Krankenkassen gehen nach dem „Anspruchsprinzip“ vor. Dabei wird auch geprüft, ob bei Beschäftigungsverhältnissen der richtige Kollektivvertrag angewandt wird und ob Dienstnehmer korrekt eingestuft sind. Nachforderungen an Unternehmen werden auf Basis des rechtskonformen Zustands vorgeschrieben. Bei der Kontrolle der Lohnsteuerabfuhr wird dagegen nach dem „Zuflussprinzip“ vorgegangen – dabei wird lediglich geprüft, ob der tatsächlich ausbezahlte Betrag korrekt versteuert wird.

Im Grunde soll auch in Zukunft nach beiden Prinzipien vorgegangen werden. Ob deren Gewichtung aber auch mittelfristig bestehen bleibt, wird von Insidern bezweifelt. Dazu Mayrhofer: „Das liegt in der Verantwortung der Finanzverwaltung.“

Noch einmal Aichinger: „Längere Intervalle und schlechtere Qualität bei der Prüfung führen zu geringeren Geldleistungen in allen Bereichen der Sozialversicherung, was letztlich auch Selbstbehalte nach sich ziehen kann. Und: Für einzelne Versicherte kann dies auch in geringeren Pensionen münden.“ Aichinger, der auch SPÖ-Abgeordneter im Wiener Gemeinderat ist, glaubt, dass mit der Zusammenlegung „Selbstverwaltung und Krankenkassen geschwächt werden sollen“.

Die Statistiken der vergangenen Jahre zeigen, dass bei der gemeinsamen Prüfung die Organe der Gebietskrankenkasse die Ziele deutlich übererfüllt haben – anders als die Prüfer der Finanz. So haben im Zeitraum von 2015 bis 2017 österreichweit Prüfer der Sozialversicherungen bei SV-Beiträgen um 8,5 Mio. Euro mehr als die Zielvorgabe eingenommen, die Finanz um 56 Mio. Euro weniger.

Rechnungshof kritisch

Der Rechnungshof (RH) hat die gemeinsame Prüfung der lohnabhängigen Abgaben (GPLA) zweimal unter die Lupe genommen (2012 und 2015). Den Krankenversicherungsträgern wird nahegelegt, die Struktur der Archivierung zu verbessern und das Interne Kontrollsystem zu vereinheitlichen. Bei der Finanz empfahlen die RH-Prüfer generell, die Organisationsstruktur und die Zahl der Standorte für die GPLA-Prüfung zu verringern. Vor fast einem Jahr hat der RH die Zusammenlegung der Kassen kritisch beurteilt.

Anfragen an die Pressestelle des Finanzministeriums blieben unbeantwortet. In einer Aussendung des Ressorts hieß es 2018 (noch vor der RH-Stellungnahme): „Die Reform bringt eine schlanke Struktur, weniger Bürokratie und eine effizientere Verwaltung.“

>>> Links zu Rechnungshofberichten

https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Gemeinsame_Pruefung_lohnabhaengiger_Abgaben_(GPLA).pdf

https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/home/Gemeinsame_Pruefung_aller_lohnabhaengigen_Abgaben_(GPLA)_Fol.pdf

https://www.rechnungshof.gv.at/rh/home/was-wir-tun/was-wir-tun_1/Stellungnahme_Sozialversicherungs-Organisationsgesetz.pdf

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2019)

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