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Der Krieg gegen die Ärzte in Syrien

Zerstört: Im Adnan-Kiwan-Spital in Kansafrah versuchen Ärzte medizinische Geräte zu bergen.
Zerstört: Im Adnan-Kiwan-Spital in Kansafrah versuchen Ärzte medizinische Geräte zu bergen. APA/AFP/OMAR HAJ KADOUR
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Die US-Organisation Ärzte für Menschenrechte prangert gezielte Verfolgung von Medizinern in Syrien an. In der Provinz Idlib geraten immer wieder Krankenhäuser ins Visier von Luftangriffen.

Istanbul/Idlib. Dr. Ahmad, ein Chirurg aus der syrischen Stadt Hama, operierte an jenem Tag im Oktober 2011 gerade einen Patienten mit einer Oberschenkelverletzung, als Beamte des berüchtigten Luftwaffen-Geheimdienstes in den Operationssaal stürmten. „Sie führten mich zusammen mit meinem Laborhelfer ab“, berichtete der Arzt später. Den Patienten nahmen die Agenten auch mit: Sie rissen einfach die Schläuche des Beatmungssystems ab. Der Geheimdienst hatte den Mann mit der Beinverletzung im Verdacht, ein Regierungsgegner zu sein. Deshalb wurde auch Dr. Ahmad festgenommen. „Mein einziges Verbrechen war, dass ich Arzt bin“, sagte der Mediziner.

Die Aussage von Dr. Ahmad ist Teil eines Berichts der US-Organisation Ärzte für Menschenrechte (PHR) über die Verfolgung von Ärzten, Krankenpflegern und anderen Helfern durch das Regime in Syrien. Der am Mittwoch veröffentlichte Report wirft ein Schlaglicht auf einen Aspekt des grausamen Syrien-Kriegs, der bisher nur wenig bekannt war: gezielte Gewalt gegen Mediziner und medizinische Einrichtungen. Dazu gehören auch Luftangriffe auf Krankenhäuser in der Provinz Idlib, der letzten Hochburg der syrischen Opposition.

Leider sei diese Strategie „brutal wirksam“, sagte Rayan Koteiche, ein Mitautor des PHR-Berichts, in Istanbul zur „Presse“. „Wenn man einen Arzt oder Krankenpfleger tötet, schadet man gleichzeitig seinen Patienten. Wenn man ein Krankenhaus unter Beschuss nimmt, geht der Schaden weit über die physischen Zerstörungen hinaus.“ Obwohl sich seine Organisation seit fast 35 Jahren mit Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen in Konflikten auf der ganzen Welt befasse, übersteige die Brutalität in Syrien alles bisher Dagewesene, betonte Koteiche: „Was die syrische Regierung tut, haben wir noch nie erlebt.“

Seit dem Beginn des Syrien-Kriegs im Frühjahr 2011 hat PHR insgesamt 583 Angriffe auf medizinische Einrichtungen registriert. In mehr als 90 Prozent der Fälle waren nach Angaben der Organisation die syrische Regierung oder ihre Verbündeten – das russische Militär, regierungstreue Milizen oder pro-iranische Gruppen – dafür verantwortlich. Systematische Angriffe auf medizinische Einrichtungen und medizinisches Personal seien ein wichtiger Teil der Strategie der syrischen Regierung, heißt es in dem Bericht.

Folter Teil jedes Verhörs

PHR befragte 21 Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Apotheker aus Syrien, die in ihrem Heimatland festgenommen und teilweise über Jahre in Haft gehalten wurden. Dabei sei „Folter ein integraler Bestandteil des Verhörprozesses“ gewesen, stellt die Organisation fest. Die Betroffenen wurden geschlagen, an den Armen aufgehängt, mit brennenden Zigaretten auf der Haut und mit Stromschlägen gequält und vergewaltigt. Vor Schmerzen ohnmächtig zu werden, sei wie eine Erlösung gewesen, zitiert der Bericht den Krankenpfleger Tareq, dessen Name wie die aller anderen Zeugen von PHR geändert wurde.

Der Bericht geht auch auf die Gründe ein, warum es die syrischen Regierungstruppen so sehr auf medizinisches Personal abgesehen haben. Festnahmen von Ärzten und Angriffe auf medizinische Einrichtungen sollten den Widerstand der Zivilbevölkerung in einem umkämpften Gebiet brechen, schreiben die PHR-Autoren. Zudem verfolgt das syrische Regime die Mediziner in Oppositionsgebieten, um die Behandlung verletzter Kämpfer zu verhindern. „Ihr (Ärzte, Anm.) seid gefährlicher als die Terroristen“, bekam ein inhaftierter Arzt von den Schergen des Luftwaffen-Geheimdiensts zu hören. „Wir bringen sie um, aber ihr bringt sie wieder zurück.“

Tatsächlich ist das Fachwissen von Ärzten für die Oppositionskämpfer überlebenswichtig. Der Bericht zählt Fälle auf, in denen Mediziner in Haft gerieten, weil sie die Rebellen mit Medikamenten versorgten. „Ihr habt ja ein ganzes Feldlazarett hier“, sagte ein syrischer Soldat, der den Apotheker Ali an einer Straßensperre mit Arzneimitteln im Auto erwischte. „Das wirst du mit deinem Leben bezahlen.“ Trotz der Drohung kam Ali wieder frei.

Krankenhäuser gezielt bombardiert

Der PHR-Bericht umfasst zwar nur Ereignisse bis zum Jahr 2017, doch die Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen gehen auch heute weiter. So haben sich die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Rebellen in der nordwestsyrischen Provinz Idlib wieder erheblich verschärft. Die Hilfsorganisation UOSSM berichtete, innerhalb weniger Tage seien zwei Krankenhäuser in Idlib gezielt bombardiert worden. Deshalb sei nun die medizinische Versorgung für zehntausende Menschen in der Gegend eingeschränkt, kritisierte UOSSM-Vize Khaula Sawah. Syrische Oppositionelle werfen der Regierung vor, UN-Daten über den Standort humanitärer Einrichtungen für Luftangriffe auf Klinken und Schulen zu missbrauchen.

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