Brexit

Donald Tusk platzt der Kragen

Ein Archivbild vom G7-Gipfel in Frankreich im August. Damals war die Stimmung zwischen Tusk (li.) und Johnson noch besser.
Ein Archivbild vom G7-Gipfel in Frankreich im August. Damals war die Stimmung zwischen Tusk (li.) und Johnson noch besser.REUTERS
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Bei der Suche nach einer Lösung im Brexit-Streit die Zeit davon. Der EU-Ratspräsident attackiert den britischen Premierminister Boris Johnson direkt. Und London glaubt womöglich gar nicht mehr an eine Einigung.

In den Tagen vor der Brexit-Frist am 31. Oktober wird der Ton rauer: EU-Ratspräsident Donald Tusk attackierte den britischen Premierminister Boris Johnson am Dienstag mit scharfen Worten: Es gehe nicht um das Gewinnen eines "dummen Schwarzer-Peter-Spiels", schrieb Tusk am Dienstag auf Twitter. Es gehe um die Zukunft Europas und Großbritanniens, um die Sicherheit und die Interessen der Menschen. "Sie wollen keinen Deal, Sie wollen keine Fristverlängerung, Sie wollen den Austritt nicht widerrufen, quo vadis?", fragte Tusk in Richtung Johnson.

Kurz vorher hatte die britische Regierung durchsickern lassen, dass London nicht mehr an eine Einigung mit der EU glaube. Das berichtet der britische Sender Sky News, der Informationen aus Regierungskreisen erhalten haben will. Die Mitteilung, deren Echtheit der Nachrichtenagentur dpa vom Londoner Regierungssitz bestätigt wurde, nimmt Bezug auf ein Telefonat zwischen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und Johnson am Dienstagmorgen. In dem Schreiben heißt es, die EU habe eine neue Position bezogen. Merkel habe deutlich gemacht, dass ein Abkommen unwahrscheinlich sei und dass Großbritannien die Staatengemeinschaft nur verlassen könne, wenn Nordirland dauerhaft in der Europäischen Zollunion und dem Binnenmarkt verbleibe. Damit sei ein Abkommen "prinzipiell unmöglich", "nicht nur jetzt, sondern immer", hieß es in der Mitteilung.

Die Irland-Grenze bleibt das Hauptproblem

Johnson hatte vorige Woche neue Vorschläge für ein geändertes Austrittsabkommen gemacht, die aber in der EU auf Widerstand treffen. Es geht um die Frage, wie die Grenze zwischen dem EU-Mitglied Irland und dem britischen Nordirland auch nach dem Brexit offen bleiben kann. Im 2018 ausgehandelten Brexit-Vertrag gibt es die Übergangslösung mit einer Zollunion, den sogenannten Backstop. Den lehnt Johnson aber ab.

Merkel forderte von Johnson am Telefon offenbar ultimativ Kompromissbereitschaft in der Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland und machte deutlich, dass ansonsten ein Brexit-Abkommen "extrem unwahrscheinlich" sei, wie am Dienstag aus einer britischen Regierungsquelle verlautete.

Kommission: Verhandlungen gehen weiter

Die EU-Kommission sieht keinen Abbruch der Brexit-Verhandlungen bevorstehen. Die technischen Gespräche würden heute weitergeführt, am Mittwoch werde EU-Chefverhandler Michel Barnier die EU-Kommission über den Stand der Dinge informieren, erklärte eine Sprecherin der EU-Behörde am Dienstag in Brüssel angesprochen auf britische Medienberichte.

"Wir wollen ein Abkommen, wir arbeiten auf ein Abkommen hin", wiederholte die Sprecherin die Position der EU-Kommission. Zu Berichten, Großbritannien wolle EU-Vorhaben wie den Beschluss des nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) unterminieren oder verlangsamen, verwies sie darauf, dass sich London zur Kooperation verpflichtet habe.

Sassoli in London

Auf der Suche nach einer Lösung im Brexit-Streit reist EU-Parlamentspräsident David Sassoli heute nach London zu Johnson. Am frühen Abend (18.15 Uhr MESZ) beraten die beiden Politiker mögliche Auswege. In London tagt zudem das britische Unterhaus zum letzten Mal, bevor es in Zwangspause geht.

Das britische Parlament hatte gegen Johnsons Willen ein Gesetz verabschiedet, das die Regierung in diesem Fall ab dem 19. Oktober zu einem Antrag auf Verlängerung der Brexit-Frist zwingt. Johnson betont allerdings trotzdem, dass er sein Land ohne weitere Verzögerung zum 31. Oktober aus der EU herausführt - auch ohne Austrittsvertrag.

Mit Vertrag würde zunächst bis Ende 2020 eine Übergangsphase gelten, in der sich praktisch nichts ändert. Ohne Abkommen entfiele diese Schonfrist sowie alle Vereinbarungen zur irischen Grenze, zum Schutz der Rechte von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich und zu weiteren finanziellen Leistungen Londons an die EU.

Von heute auf morgen müssten Zölle und Kontrollen an den Grenzen zu Großbritannien eingeführt werden, Lieferketten würden unterbrochen und Millionen Bürger in Unsicherheit gestürzt. Die Wirtschaft befürchtet schlimme Folgen für die Konjunktur.

(APA/dpa/AFP)

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