Gastkommentar

Burgtheater unter Kušej: Warum nicht europäisches Nationaltheater?

Burgtheater in Wien.
Burgtheater in Wien. Hans Punz
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Martin Kušej wird an der Burg voraussichtlich mutiger agieren können als seine Vorgängerin Karin Bergmann. Grundsätzliches zur Verflechtung von Politik und Kunst und zum Burgtheater im Speziellen.

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Der österreichische Kulturherbst beginnt mit dem Wechsel des Schauspieldirektors des Burgtheaters von Karin Bergmann auf Martin Kušej. Dieser ist zwar ein Österreicher, aber geboren im ehemals umkämpften Grenzland Kärnten-Slowenien. Er ist also Kärntner Slowene mit der Muttersprache Deutsch in einer Minderheit geboren und als ehemaliger Ministrant hat er die katholische Moral inhaliert. Ich sehe ihn als kritischen Freigeist, Provokateur und geerdeten Kosmopolit. Er erklärte einmal, dass Heimat für ihn kein Ortsgefühl sei, sondern gespeist von Erinnerungen und Gefühlen, welche man auch weit weg von der Heimat haben kann.

Der Autor

Prof. Dr. Nikolaus Lehner (*1939 in Wien) war 40 Jahre als Anwalt tätig, nunmehr Autor, Kurator und Kommentator für Kunst, Kultur und Politik.

Jeder Neuanfang benötigt einen Gründungsmythos als Grundenergie des Aufbruchs. Er wird daher das Burgtheater extrem kontroversiell, zeitgenössisch, österreichisch und international führen. Kušej ist  gewohnt, grenzübergreifend zu fühlen und zu denken, was sich dadurch manifestiert, dass er als oberste Maxime das Burgtheater weniger als allein deutschsprachiges Nationaltheater als vielmehr als europäisches Theater gemeinsam mit seinem Team führen will. In diesem Zusammenhang verbinde ich den Wunsch, dass sich die EU zukünftig finanziell an den enormen Kosten des Burgtheater-Betriebes beteiligt, damit das Burgtheater ein europäisches Nationaltheater wird. Seit Jahrzehnten versucht die EU eine Vereinheitlichung im Bereich der Justiz, Innen-, Außen- und Verteidigungspolitik zu erzielen. Dies ist bekanntermaßen bisher nicht gelungen. Möglicherweise führt der Zusammenschluss im Kulturbereich auch zu einem Umdenken in den oben erwähnten politischen Bereichen. Kušej betont, und das ist völlig neu, dass das Burgtheater nunmehr nicht mehr und nur mehr mit einer Zunge spricht und nur auf einem Ohr hört, sondern als völlig offenes Theater, nämlich europäisches, agieren soll.

Bei der Neuerfindung des Burgtheaters betont Martin Kušej, dass er wünscht, dass die bisherige Bezeichnung „Burg“ vermieden wird, da dies irreführend sei, „sein“ Burgtheater ist nach allen Richtungen offen. Auf Befragung erklärte der neue Burgtheaterdirektor, dass reine Parteipolitik „quatsch“ ist, weil er diesbezüglich befragt worden war, was er von der Video-Botschaft einer berühmten Schauspielerin hält. Für ihn gibt es weder links noch rechts in der Politik, und ist sichtlich seine wichtigste Botschaft die Qualität. Natürlich wird Kušej die Bühne als Parkett für Gesellschaftspolitik führen. Das Schauspiel ist eine Bühne für die Kunst und Kunst ist ohne Politik undenkbar, und dies ist ein Gedanke, mit dem ich sogar mit Joseph Beuys einer Meinung bin „alles ist Kunst, daher auch Politik“.

Kunst ist ohne Politik nicht denkbar

Bekanntlich ist der Ursprung des Theaters, soweit es gesichert ist, im religiösen Kultus. Feiern zu Ehren der Gottheit erregte den Wunsch nach einer Wiedergabe des Mythos, der sich im Glauben an eine übermenschliche Macht herausgebildet hatte. Daher wurden diese Bilder vom Kampf, Sieg und Untergang zum Grundbegriff des Theaters. Abgesehen von den außereuropäischen Völkern, z.B. in Indien und China, war der entscheidende Impuls für das europäische Theater die hellenische Antike. Durch die Jahrhunderte sich entwickelnde Schauspielkunst wurde die Bühne zur friedlichen Auseinandersetzung mit der Gesellschaftspolitik.

Kunst ist ohne Politik nicht denkbar, weil Künstler durch ihre Kunst etwas vermitteln, sei es eine politische Botschaft oder eine Kritik an der Gesellschaft. Im Hinblick auf die Bedeutung der Kunst wird diese durch verschiedene Maßnahmen, wie Ankauf von Werken der Künstler, Subventionen für die Künstler, unterstützt. Die Künstler werden durch Galeristen vertreten und durch Kuratoren der interessierten Bevölkerung näher gebracht. Auch in Österreich ist dafür ein eigenes Ministerium installiert, wobei dieses eine wesentliche weitere Aufgabe zu vollziehen hat, nämlich die Kultur zu erhalten (Denkmalschutz). Mit diesen von mir erwähnten Beispielen betreibt der Staat Politik. Die Förderung von Kunst und Kultur stellt immer ein budgetäres Problem dar. Dazu gehört auch die Problematik der Verteilung der budgetären Mitteln, weil im westlichen Österreich meines Erachtens berechtigterweise die starke Bevorzugung der Bundeshauptstadt durch überproportionale Subventionierung kritisiert wird. Umgekehrt werden die Künstler durch versierte Politiker in der Form instrumentalisiert, dass man sie zu politischen Events einlädt, und für Botschaften missbraucht.

Ich verbinde die beiden Pole Kunst und Politik in der Form, dass für uns Bürger jener Politiker auch der erfolgreichste Künstler ist, der durch seine politische Tätigkeit am stärksten überzeugt. Beuys würde mir sicher zustimmen. Unter „Politik“ ist zu unterscheiden die idealtypische, schon von Aristoteles entwickelte, und die reale. Auf letztere kann und will ich nicht eingehen, weil diese von Größenwahnsinnigen dominiert wird, z.B.in Großbritannien und den USA. Kunst hat jedenfalls eine starke gesellschaftspolitische Bedeutung, weil sie gesellschaftliche Verhältnisse beeinflusst. Politik benötigt die Kunst und die Kunst benötigt die Politik. Kunstlose Politik ist die traurige und gefährliche Realität. Politische Kunst entwickelte sich aber nicht nur auf dem Gebiet der darstellenden Kunst, sondern auch in der bildenden Kunst, Literatur und Musik.

Zurückkommend auf Martin Kušej wird dieser im Vergleich zu seiner Vorgängerin Karin Bergmann mutiger agieren können, weil diese bekanntlich primär das von Springer/Hartmann verursachte finanzielle Desaster zu konsolidieren bemüht war und dies unter der Ägide des neuen Holding-Chefs, Christian Kircher, auch gelungen ist. Wenn man die bisherigen Arbeiten von Kušej Revue passieren lässt, findet man jedenfalls keine Parteipolitik.

Das Theater reagiert wie ein Seismograph, indem es alle Konfliktpotentiale realisiert und auf/abarbeitet. Daher bietet es ein Narrativ von größter Widersprüchlichkeit durch das Neben- und Gegeneinander unterschiedlichster Richtungen, Tendenzen und Positionen. Die stärkste Wirkung bezieht es zum einen aus dem Widerspruch gegen das Verharren, zum anderen auch gegen den allzu radikalen Bruch mit der Tradition.

Meine Neugierde auf das europäische Nationaltheater von Kušej ist grenzenlos.

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