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Zwei Tote in Halle: Angreifer wollten in Synagoge eindringen

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Angreifer versuchten, die Tür zu einer Synagoge in Sachsen-Anhalt aufzuschießen. Eine Person wurde laut Polizei festgenommen. Mindestens ein weiterer Täter ist noch auf der Flucht. Die Bundesanwaltschaft übernahm die Ermittlungen.

70 bis 80 Menschen hatten sich zu Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, in der Synagoge in der deutschen Stadt Halle versammelt, als der Angriff startete: Über die Sicherheitskamera verfolgten die Gemeindemitglieder, wie ein schwer bewaffneter Täter, mit Tarnanzug und Stahlhelm ausgerüstet, versuchte, in das Gotteshaus einzudringen.

Mit einem Gewehr wollte der Angreifer die Tür der Synagoge im Bundesland Sachsen-Anhalt aufschießen. Das berichtete auch ein Augenzeuge, der die Geschehnisse von draußen beobachtete. Selbst Granaten habe der Mann verwendet und sie unter die Tür des jüdischen Friedhofs geschossen. Die Menschen im Inneren des Gebäudes hatten Glück: Die Sicherheitsvorkehrungen hielten stand.

Dennoch forderte der Angriff Opfer: Laut Polizeiangaben wurde ein Mann in einem Imbissstand in der Nähe getötet. Ebenso eine Frau, die laut Augenzeugenberichten gerade von einer Straßenbahnstation unterwegs gewesen war. Zwei Menschen wurden zudem mit Schussverletzungen in das Uniklinikum in Halle eingeliefert.

APA/AFP/RONNY HARTMANN

Die Hintergründe des Vorfalls in der 233.000 Einwohner zählenden Gemeinde waren zunächst unklar. „Wegen der besonderen Bedeutung der Tat für die Bundesrepublik“ übernahm die Bundesanwaltschaft am Mittwoch die Ermittlungen. Der „Tagesspiegel“ berichtete, dass Sicherheitskreise von einem gezielten Anschlag zu Jom Kippur ausgingen. Vermutet werde ein rechtsextremistischer Hintergrund.

Binnen kurzer Zeit war Halle in den Ausnahmezustand verfallen: Die Stadtregierung sprach von einer „Amoklage“. Überall waren Sirenen zu hören, Straßen blieben gesperrt, die Verkehrsbetriebe stellten den gesamten Bus- und Bahnbetrieb ein. Mehrmals wurde die Bevölkerung von der Polizei aufgefordert, in ihren Wohnungen zu bleiben oder sichere Orte aufzusuchen.

Die deutsche Bundespolizei verstärkt nach den Todesschüssen in der ostdeutschen Stadt Halle ihre Kontrollen an den Bahnhöfen und Flughäfen in Mitteldeutschland. Auch die Verkehrswege nach Polen und Tschechien werden verstärkt kontrolliert, wie die Bundespolizei am Mittwoch im Kurzbotschaftendienst Twitter mitteilte. Zudem werde die Polizei vor Ort in Halle unterstützt.

Schüsse auch in Landsberg

Kurze Zeit nach den Vorfällen in Halle warnte auch die Regierung im nur rund zehn Kilometer östlich gelegenen Landsberg vor einem „Schusswaffengebrauch“. Ob die beiden Vorfälle in Verbindung miteinander standen, blieb vorerst jedoch offen. Doch die etwa 15 Kilometer von Halle entfernte Kleinstadt steht offensichtlich im Fokus der Polizei. Die Zufahrt zu dem Ortsteil Wiedersdorf war am Mittwoch abgesperrt. Zuvor waren auch in der Ortschaft Schüsse gefallen, wie eine Sprecherin der Polizei Halle der dpa bestätigte.

Zu den näheren Umständen des Vorfalls in dem Ort östlich von Halle wollte sie zunächst nichts sagen. Mehrere Mannschaftswagen der Polizei, darunter auch Fahrzeuge aus Sachsen, waren vor Ort. Auch zwei Krankenwagen waren zu sehen. Am Mittwochnachmittag gegen 16.00 Uhr landetet auf einem Feld bei Wiedersdorf nach Angaben eines dpa-Reporters zudem ein Hubschrauber der Bundespolizei. Angaben zu den Hintergründen machte die Polizei nicht. Sie verwies auf die Zuständigkeit der deutschen Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, die die Ermittlungen übernommen hat.

Die Polizei bestätigte zunächst zwar eine Festnahme, doch dauerte der Großeinsatz der Sicherheitsbeamten auch am Abend noch an: Zwei weitere Verdächtige flüchteten mit einem gestohlenen Auto in Richtung Münche, sagte die Bürgermeisterin von Landsberg, Anja Werner.

In einem Video auf Sozialen Medien war zu sehen, wie sich ein Mann hinter einem Auto versteckte und von dort Schüsse abgab:

Die Attacke versetzte jüdische Gemeinden im ganzen Land in Alarmbereitschaft: In Leipzig, Dresden, Berlin und anderen deutschen Städten, verstärkte die Polizei ihre Kräfte vor Synagogen.

APA

Van der Bellen schockiert

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat sich am Mittwoch schockiert zu den Schüssen in der ostdeutschen Stadt Halle geäußert. Es seien "entsetzliche Nachrichten über zwei Tote und einen Angriff auf eine Synagoge in Halle - heute an #JomKippur", teilte Van der Bellen über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Sein Mitgefühl sei bei den Opfern, ihren Angehörigen und ihren Freundinnen und Freunden. "Wir müssen alles tun, damit Jüdinnen und Juden in Sicherheit leben können", betonte der Bundespräsident. Yom (Jom) Kippur ist der höchste Festtag im Judentum.

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat am Mittwoch bestürzt auf das "antisemitisch motivierte Attentat" vor einer Synagoge in der ostdeutschen Stadt Halle reagiert. Die schreckliche Tat sei ein Zeichen, dass der Kampf gegen jegliche Form des Antisemitismus aktueller denn je ist, erklärte der ÖVP-Politiker laut einer Aussendung.

„Tief bestürzt“ zeigte sich auch Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein über die Gewalttaten in Halle.

Die "Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen" (IMÖ) verurteilte den mutmaßlichen Angriff auf die Synagoge in Halle. "Heute sind zwei Menschen einem Angriff unmittelbar neben der Synagoge in Halle zum Opfer gefallen. Als Initiative muslimischer ÖsterreicherInnen drücken wir unsere Betroffenheit, unser Beileid und vor allem unsere vollste Solidarität aus", hieß es in einer Aussendung.

Weiters erklärte IMÖ-Obmann Tarafa Baghajati: "Gleichzeitig steigt die Sorge angesichts solcher Gewalttaten um das Klima friedlichen und respektvollen Zusammenlebens und den sozialen Zusammenhalt in Europa. Daher appellieren wir vor allem an politische Verantwortungsträger/innen Maßnahmen zu setzen, die Antisemitismus und jede andere Form des Hasses gegen Minderheiten wirksam entgegenwirken. Vonseiten der Zivilgesellschaft streben wir danach den Dialog zwischen Menschen jüdischen und Menschen muslimischen Glaubens zu intensivieren, um gemeinsam gegen Feindbilddenken anzugehen."

Verstärkter Schutz auch in Wien

Nach den tödlichen Schüssen vor einer Synagoge in Halle in Deutschland sind auch in Wien die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtung seitens der Polizei nochmals verstärkt worden. Zwar sei der Objektschutz aufgrund des jüdischen Feiertages Yom Kippur ohnehin stärker, aufgrund der unsicheren Lage in Deutschland seien nun aber auch Beamte der Sondereinheit Wega hinzugezogen worden.

Seitens der Polizei betonte man aber, dass es keine konkrete Gefährdungslage gebe. Die Verstärkung sei eine reine Sicherheitsmaßnahme.

(APA/dpa/AFP/Red.)

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