Plattenkritik

Chromatics: Licht im Dunkel der Noir-Könige

„Hello darkness, my old friend“: Chromatics-Sängerin Ruth Radelet in Hamlet-Pose.
„Hello darkness, my old friend“: Chromatics-Sängerin Ruth Radelet in Hamlet-Pose.(c) Italians Do It Better
  • Drucken

Mit einer Neudeutung von „Sound of Silence“ beginnt das neue Album der Chromatics: ihr bislang vielseitigstes Werk.

Läuft unsere Zeit ab? Naht das Ende? Das Erste, was man am neuen, ohne Ankündigung veröffentlichten Album der US-Band Chromatics hört, ist das Ticken einer Uhr, das sich allmählich beschleunigt: verstärkt durch einen einsetzenden Beat, begleitet von sinistrem Pianoklimpern. Nach einem kurzen Moment der Stille singt Sängerin Ruth Radelet die ersten Zeilen einer herrlich skelettierten Neudeutung von „The Sound of Silence“: „Hello darkness, my old friend, I've come to talk to you again.“ Das passt nicht nur zur seit jeher schattenseitigen Musik dieser Noir-Adoranten und zu den Gefühlen der Entfremdung, die viele ihrer Songs so meisterhaft transportieren. Mit dieser Wahl ziehen sie auch eine Parallele zwischen den politisch unruhigen 1960ern – Paul Simon schrieb den Song nach der Ermordung Kennedys – und den Wirren von heute.

Es ist nicht das erste Mal, dass die Chromatics ein Album mit einer Coverversion eröffnen: Schon zu Beginn ihres Meisterwerks „Kill for Love“ (2012) machten sie sich Neil Youngs „Hey Hey, My My (Into the Black)“ konsequent zu eigen. Das Album führte ihren von Post-Punk und Italo-Disco geprägten Synth-Pop in bisweilen euphorische Höhen. Schon die Großstadtmelancholie und die Fünf-Uhr-Morgen-Stimmung früherer Alben brachte der Band aus Portland, Oregon, Kultstatus. Nur logisch, dass David Lynch sie in der jüngsten „Twin Peaks“-Staffel im „Roadhouse“ auftreten ließ. So klingt „Closer to Grey“ auch über weite Strecken: dunkel und glamourös, bisweilen unbehaglich, meist cinematisch. „Whispers in the Hall“ etwa tönt wie ein Horrorfilm-Soundtrack im Stil von John Carpenter, mit klirrenden, flimmernden Synthesizern, verstörenden Bässen. „Little girl, the world just wants to break you“, singt Radelet mit eisiger Stimme. Und fragt: „Don't you know that fear is what they offer?“ Eine Warnung vor Rechtspopulisten, vor den dunklen Kräften unserer Tage? Immerhin versichert sie: „Love is there to catch you if you fall.“ Noch schauriger ist „Love Theme from Closer to Grey“: ein schleichendes Instrumentalstück, passend zur Italo-Horror-Ästhetik des Albumcovers.

Die Nummer VI ist noch frei

Anderswo lässt die Band ein wenig Licht in ihr Universum: „You're No Good“ besticht mit einem für ihre Verhältnisse regelrecht optimistischen Disco-Puls. In „Twist the Knife“ relativiert der Text die aufkeimende Dancefloor-Ekstase: „Every time I close my eyes, you twist and turn the knife“, heißt es, bevor Radelet sinniert: „Sometimes love feels just like hate.“ Neu für Chromatics ist die Verwendung von geloopten Drum-Breaks. Der so erzielte Groove verstärkt in „Touch Red“ und „Light as a Feather“ die hypnotische Qualität ihrer Musik. Und ist mitverantwortlich dafür, dass „Closer to Grey“ vielseitiger ist als seine Vorgänger.

Eines ist es definitiv nicht: „Dear Tommy“, der schon 2014 angekündigte, mehrfach verschobene Nachfolger ihres fünften Albums „Kill for Love“. Eine Hintertür ist freilich offen: Auf dem Cover von „Closer to Grey“ prangt die römische Nummer „VII“. Die Lücke im Katalog kann also noch gefüllt werden. Oder doch nicht? „Morning will forget about the ghost of last night“, heißt es in der bittersüßen Schlussnummer „Wishing Well“ – nach erneutem Ticken der Uhr. Diese Band bleibt so rätselhaft wie spannend.

Live in Wien: 14. 10. in der Arena.

(c) Italians Do It Better

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.