Leitartikel

Hat Peter Handke den Nobelpreis verdient? Ästhetisch auf jeden Fall!

Seit mehr als 50 Jahren schreibt der aus Kärnten stammende Dichter immer wieder Weltliteratur. Das ist wichtiger als die politischen Irrwege, die er ging.

Als Peter Handke von 1996 bis zur Jahrtausendwende und darüber hinaus Reiseberichte aus dem zerfallenen Jugoslawien veröffentlichte, wurden diese höchst subjektiven Texte, die „Gerechtigkeit für Serbien“ forderten, von vielen Feuilletonisten feindselig aufgenommen, besonders in Deutschland. Auch Journalisten außenpolitischer Ressorts mischten sich verurteilend ein. Sie haben den Dichter nicht rein ästhetisch, sondern vor allem auch politisch bewertet, weil er in den Balkankriegen Stellung für den serbisch-jugoslawischen Machthaber und Kriegstreiber Slobodan Milošević bezogen hatte.

Als dieser schließlich vor dem Internationalen Tribunal in Den Haag stand, hat man Handke als Zeuge geladen. Er führte ein langes Gespräch mit dem wegen Völkermordes angeklagten Häftling. Auf Distanz ging er nicht. Ja, Handke war auch beim Begräbnis von Milošević 2006 dabei und hielt eine eigenartige Grabrede: Er sei ihm nahe, sagte er über den mutmaßlichen Kriegsverbrecher (der vor vor dem Urteil gestorben war). Die Reaktionen waren erwartbar und verständlich feindselig. Kurz danach wurde Handke ausgerechnet der Heinrich-Heine-Preis zuerkannt. Erneut steigerte sich die Aufregung, bis der vielfach preisgekrönte Autor schließlich auf die Auszeichnung der Stadt Düsseldorf verzichtete.

Sollte er das? Sollte ein hervorragender Dichter, der sich aus Sicht politisch Korrekter zum politisch nützlichen Idioten von politisch Bösen macht, auch im Reich der Poesie eine Persona non grata sein? Das wäre ein beschränktes Reich der Dichtung. Zum Nicht-Heinrich-Heine-Preis schrieb „Die Presse“ 2006, Handke sei, „wenn man seine Schriften über Ex-Jugoslawien, seine öffentlichen Auftritte in Serbien und die Verständnislosigkeit, die er bei vielen Europäern damit hervorruft, denkbar ungeeignet für diese Auszeichnung der Toleranz“. Er sei nämlich „ein rücksichtsloses Genie, ein Autist der Sprache, ein Solitär“. Ihm gebühre viel eher der Nobel- als der Heine-Preis für sein gewaltiges Text-Gebirge.

Einige von Peter Handkes vielen, vielfältigen, erlesenen Werken zählen längst zur Weltliteratur, er ist darin eine ganz eigene Stimme. Sie scheint von Dauer zu sein. Natürlich war es traurig, dass sich dieser Dichter im Dickicht des Balkan verirrt hat, doch das sollte kein ausreichender Ausschlussgrund für eine Alten-Ehrung in Stockholm sein.
Denn wie könnte man sonst politisch rechtfertigen, dass ein wirrer linker Polemiker wie Günter Grass den Nobelpreis bekam, ein anarchischer Clown wie Dario Fo, ein Imperialist wie Rudyard Kipling oder der in dunkelster Zeit recht angepasste deutsche Groß-Dichter Gerhart Hauptmann? Hätte man die Auszeichnung dem fantastischen Erzähler Gabriel Garcia Marquez verwehren sollen, weil er stets solidarisch zum kubanischen Diktator Fidel Castro stand?

Nein, Garcia Marquez wurde für Romane wie sein Meisterwerk „Hundert Jahre Einsamkeit“ geehrt, nicht für politisch dubiose Eigenheiten, Grass für „Die Blechtrommel“ und Kipling nicht nur für das „Dschungelbuch“, sondern wohl auch für ganz starke Gedichte – die Bertolt Brecht gern plagiierte. Hauptmann erhielt den Nobelpreis 1912 „vornehmlich für seine reiche, vielseitige, hervorragende Wirksamkeit auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung“. Diese Literatur lebt noch heute.
Beim tolldreisten Fo dürften die Gründe für den Preis allerdings tatsächlich vorwiegend politische gewesen sein, so wie, ins Negative gewendet, einige wesentlich bedeutendere Schriftsteller wohl auch aus politischen Gründen leer ausgingen – Jorge Luis Borges, Ezra Pound, und vielleicht sogar Philip Roth. Der wirkt in unserer immer mehr zum bornierten Verbieten neigenden Gegenwart von Jahr zu Jahr weniger korrekt.

Peter Handke hat den Preis verdient, er ist zumindest ein halber Jahrhundert-Dichter. Andere seines Formats gingen erneut leer aus. Margaret Atwood, Ngũgĩ wa Thiong'o, Thomas Pynchon, Anne Carson, Maryse Condé, Gerald Murnane, Friederike Mayröcker . . . aber das ist eine andere Geschichte.

E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

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