Erst am Dienstag befassten sich die Innenminister mit der Frage, was Europa gemeinsam gegen rechtsradikale Gewalt machen soll.
Brüssel. Fast auf die Minute genau 24 Stunden vor dem rechtsextremen Terroranschlag in Halle befassten sich die EU-Innenminister am Dienstag in Luxemburg mit der Frage, ob sie überhaupt genau wissen, was rechtsextremer Terror ist. In einer Tischvorlage des finnischen Ratsvorsitzes waren die Minister dazu angehalten, sich „ein besseres Lagebild von gewaltbereitem rechtsradikalen Extremismus und Terrorismus zu verschaffen, zum Beispiel durch die Sammlung nationaler rechtlicher und politischer Rahmen und der Sammlung von Statistiken“.
Das strafrechtliche Rüstzeug, gegen rechten Terror vorzugehen, hat die Union. Im März 2017 trat die Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung in Kraft, die alle Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, in ihren Strafvorschriften entsprechende Tatbestände zu verankern, die terroristisches Tun ungeachtet der ideologischen Schlagseite und jeglicher Art (einschließlich Propaganda und Reisen) sanktionieren. Bis Herbst vorigen Jahres waren diese Mindestvorschriften umzusetzen. Ob die Staaten das auch taten, wird 2020 erhoben werden. Das Problem ist jedoch der Mangel an Statistiken. Der EU-Antiterrorkoordinator, Gilles de Kerchove, warnte die Minister unter anderem davor, dass rechtsextreme Terroristen „darauf abzielen, sich taktisch und strategisch in die sie umgebenden Gesellschaften einzufügen, um Repression und Gegenmaßnahmen zu verringern“. Europol hielt fest, dass „die Bedrohung durch rechtsradikale Extremisten gering ist, aber nicht unbedeutend, und wachsend“.
Wachsender Judenhass in Europa
Dies spielt sich vor dem Hintergrund rasant gewachsenen Judenhasses in Europa ab. Eine im Dezember vorigen Jahres veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage ergab, das 87 Prozent der Juden Europas Antisemitismus als ernstes Problem ansehen; sieben von zehn meinen, ihre Regierungen unternehmen nicht genug dagegen. Die meisten antisemitischen Übergriffe würden laut Angaben der Opfer von „muslimisch extremistischen Personen“ verübt (in Österreich 35 Prozent) – doch schon dahinter kamen mit 25 Prozent Täter mit „rechtsradikalen Ansichten“. (GO)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2019)