Deutschland

Rothenburg: Die Bilderbuchstadt

Vogelperspektive ins Mittelalter.
Vogelperspektive ins Mittelalter.(c) Tom Busch
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Das kleine mittelfränkische Städtchen Rothenburg ob der Tauber ist der Inbegriff für authentische Mittelalter-Romantik.

Durch dieses Tor kann man wahrhaftig nur schreiten. Fest der Tritt und mit unwillkürlich erhobenem Haupt betreten wir das Galgentor im Osten, Teil des meterdicken, massiven Befestigungswerks, das sich rings um das Städtchen zieht.

Hört man nicht ein Pferdekutschwerk nahen, mit dem typischen Hufklappern auf Kopfsteinpflaster? Der Weg führt in die Galgengasse, vorbei an pittoresken Trottoir-Stühlen, einzigartig wie das gleichnamige Café. Tiefrot hängen die Herzblumen von den Fensterbänken am Landsknecht-Stübchen. Dann passieren wir das nächste Stadttor, das uns weiter in die Vergangenheit bringt: Der Weiße Turm gilt als ältester Turm von Rothenburg und stammt, wie auch der Markusturm am Ende des Pfeifergässchens, aus dem zwölften Jahrhundert. Fachwerkhäuser lehnen sich aneinander. Über den Türen verkünden polierte Zunftschilder, wer hier vor Jahrhunderten wohnte.

Beim Reichsküchenmeister

Am Kirchplatz lädt eines der Zunftzeichen zum Eintritt in ein Patrizierhaus, und wer noch zögert, den überzeugt das dicke Bündel leer getrunkener Bocksbeutel an des Reichsküchenmeisters Eingangstür. Bocksbeutel sind Flaschen, geformt wie flach gedrückte Ellipsoide für Weine aus Franken. Wir pilgern weiter, über den Kirchplatz zur Kirche St. Jakob, reichen dem Heiligen Jakobus die blankgewetzte Bronzehand und gehen weiter in die ruhige Klostergasse mit ihren lehmfarbenen Fachwerkgiebeln. Ein Baum hat sich an einem Haus angelehnt und überkränzt nun blattreich dessen Fenster. Das kleine Trompetergässchen führt zum nächsten Tor, dem massiven, kopfsteingepflasterten und wappengeschmückten Burgtor.

Das Kriminalmuseum.
Das Kriminalmuseum. (c) Tom Busch

Stadttore und Gässchen

Nach dem Durchgang weitet sich der Blick ins romantische Taubertal und zeigt die ganze Pracht, über die Rothenburg ruht. Vor uns liegt der Burggarten, auf dessen Areal der Hohenstaufenkönig Konrad III. einst sein Castrum Imperiale errichtete, von dem aus sich die Siedlung entwickelte. Märchenhaft stehen die spitzgiebeligen Zollhäuschen in roséfarbenem Ocker mit weinroten Dachschindeln vor der Bastei. Hach ja, entfährt es manchem Besucher, als wähne er sich in einem Märchen.

Rothenburg ob der Tauber ist weltbekannt für seine zauberhaft wirkende Altstadt aus dem Mittelalter mit vielen Stadttoren und verschachtelten Gässchen. 46 Türme und Stadttore sind es – vom Klingentor im Norden bis zum Sieberstor im Süden, vom Weibertor bis Sauturm, Straftor und Pulverturm. Vierzig davon sind Stationen des Rothenburger Turmwegs, eine stadteigene Sehenswürdigkeit-To-Go: Der Turmweg führt einmal rings ums Städtele.

Über die Roßmühlgasse im Süden der Altstadt betreten wir am Kalksturm die Stadtmauer und folgen den Holzplanken den überdachten Weg entlang. Im Gemäuer zur Linken schaut man durch Schießscharten ins Taubertal. Die vier Kilometer lange Wehranlage wurde ab dem 13. Jahrhundert errichtet. Sechs Haupttore mit ihren Basteien, Wallmauern und Zwischentürmen gehören dazu – es heißt, man hätte die Abstände der Türme einst nach der Reichweite der Armbrüste ausgerichtet.

Wir passieren den Kohlturm und erreichen das Kobolzellertor. Hier öffnet sich der Blick – zum bekannten Postkartenbild: Rothenburg ob der Tauber über dem lieblichen Tal, bilderbuchmäßig die Silhouette von adrett zusammengerückten Fachwerkgiebeln im schmucken Rot. Unten im Grün der Weinberge am Hang des Tales liegt das Topplerschlößchen, einst Wohnsitz von Rothenburgs prominentestem Bürger des Mittelalters: Unter Bürgermeister Heinrich Toppler stand das Städtchen um 1400 in seiner größten Blüte.

Die alte Burg, die der Stauferkönig Konrad III. um 1142 errichtet hatte.
Die alte Burg, die der Stauferkönig Konrad III. um 1142 errichtet hatte.(c) Tom Busch

Am Plönlein Fotos schießen

Über die Kobolzeller Stiege verlassen wir den Rundweg und stehen am Plönlein, der wohl berühmtesten Straßengabelung Deutschlands. Nirgendwo türmt sich Fachwerk zwischen zwei Stadttoren so lieblich, fotogen und fröhlich-bunt zum Himmel – am Plönlein werden denn auch die meisten Fotos geschossen. Die mittelfränkische Kleinstadt mit ihren elftausend Einwohnern gilt bei Gästen aus aller Welt als Höhepunkt der Romantischen Straße. Über zweieinhalb Millionen Menschen reisen jedes Jahr an, um den deutschen Inbegriff einer Mittelalterstadt zu erleben, besuchen Rathaus, Reichsstadtmuseum, das wirklich spannende Kriminalmuseum oder folgen den Spuren von Rothenburg als Drehort: Hier entstanden Märchen wie „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren", Heimatfilme wie „Die Christel von der Post" und der „Blaue Engel" mit Curd Jürgens, Kaspar Hausers Historiendrama, der Disney-Klassiker „Chitty Chitty Bang Bang" von James-Bond-Autor Ian Fleming und Hollywood-Blockbuster wie „Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm".

Rothenburg passt perfekt ins Märchenbild, in jedem Detail – vor allem in seiner Mitte, am Markt: Der Georgsbrunnen plätschert in sein zwölfeckiges Ornament-Steinbecken von 1608, dazu posieren Löwen auf den Hinterpfoten. Eingerahmt wird das idyllische Eck vom Tanzhaus mit weinroten Holzbalken aus dem 13. Jahrhundert, dessen fünf Fachwerkobergeschoße sich bis zum Krüppelwalmdach hinaufziehen. Zur Rechten rahmt das Jagstheimerhaus mit Erkertürmchen und ebenholzschwarzen Holzbalken das Stadtbild – wahrlich pittoresk! Und da es aus dem Mittelalter stammt und nicht nachträglich unerträglich verkitscht wurde, wirkt das Städtchen in seiner Beschaulichkeit echt. Eine Bilderbuchstadt der Romantik – ohne Kitsch.

Die Dämmerung senkt sich über Rothenburg. Am Markt finden sich immer mehr Leute ein, warten auf ihre Führungen mit dem Henker, die Geisterführung anno 1399 oder den Rundgang mit dem Nachtwächter. Die Stufen zum Rathaus füllen sich langsam.

Das Rathaus nimmt eine ganze Marktseite ein, als ein imposantes Ensemble von Gotik und Renaissance, mit Arkadengang und Glockenturm, historischem Verlies und einer Aussichtsplattform auf knapp sechzig Metern Höhe. Der älteste Teil wurde bereits um 1200 errichtet.

Abends ist der Marktplatz ein beliebter Treffpunkt.
Abends ist der Marktplatz ein beliebter Treffpunkt.(c) Tom Busch

Reichsfreiheitsprivileg

Die ersten schriftlichen Überlieferungen zur Stadt Rothenburg datieren in die Zeit des Reichsfreiheitsprivilegs: Es war König Rudolf von Habsburg, der Rothenburg im Jahre 1274 zur Reichsstadt erklärte. Die Ratsherren ließen sich gleich nebenan eine eigene Stube für den Umtrunk errichten. Noch immer kehren hier viele ein: Die Ratstrinkstube ist heute Sitz der Touristeninformation.

Für alle, die draußen vor der Tür bleiben, zeigt die Ratstrinkstubenuhr jede Stunde die Geschichte des Meistertrunks, die zurück in den Dreißigjährigen Krieg führt: Im großen Religionskrieg dringt der katholische Feldherr Johann T'Serclaes von Tilly im Herbst des Jahres 1631 mit einem 60.000-Mann starken Heer bis vor die Mauern der protestantischen Reichsstadt Rothenburg vor. Am 30. Oktober wurde die Stadt gestürmt und ihr Bürgermeister Bezold mitsamt allen Ratsherren zum Tod verurteilt.

Festspiel „Meistertrunk"

Doch Tilly ging eine ungewöhnliche Wette ein: Wenn es jemandem gelang, ein Glas mit drei Liter und einem Viertel Wein in einem Zug auszutrinken, wolle er die Stadt vor Plünderung und Zerstörung bewahren. Ein Alt-Bürgermeister, Georg Nusch, schaffte es tatsächlich. Seit 1881 wird der legendäre „Meistertrunk" jährlich als Festspiel im Rathaus aufgeführt.

Tillys Nachfahren, die neu angekommenen Besucher der Stadt, haben inzwischen die gute Stube des Reichsküchenmeisters verlassen und bummeln beschwingt den Marktplatz hinunter, mit angeheitertem Lachen ob des ausgezeichneten fränkischen Weins, in der Hand einen Bocksbeutel als Souvenir. Dann verstummt das Gejohle, und staunend schauen sie in die Dämmerung und dem wehenden Mantel des Nachtwächters hinterher, der mit seiner Laterne in die engen Gassen entschwindet und fragen sich, ob sie vielleicht mitten im Mittelalter gelandet sind. Fürwahr, ja, in der Tat.

SIEBEN ROMANTISCHE TIPPS FÜR DIE STADT AN DER TAUBER

Platz 1: Mittelalterliches Kriminalmuseum – 1000 Jahre Rechtsgeschichte

Das bedeutendste deutsche Rechtskundemuseum ermöglicht einen spannenden wie gleichermaßen beeindruckenden Einblick in das Rechtsgeschehen der letzten eintausend Jahre – vom späten Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Das Museum zeigt nicht nur Folter- und Hinrichtungsinstrumente wie Halsgeigen, Schandmasken, Richtschwerter und Richträder, sondern auch mittelalterliche Gesetzestexte und Anleitungen zu Hexenprozessen sind ausgestellt und werden kommentiert. Und das sind die Themen: Der Strafprozess, Die Folter, Todesstrafen und Henker, Ehrenstrafen, Hexen und Räuber, Frauen und Kinder, Handel und Handwerk, Rechtssymbolik.

Das Museum in Rothenburg gilt mit mehr als 50.000 Exponaten auf einer Ausstellungsfläche von 3000 Quadratmetern und seiner Arbeit zur Entwicklung der Gesetzgebung und von Strafprozessen als größtes deutsches Rechtskundemuseum. Täglich geöffnet, Führungen, Burggasse 3–5, www.kriminalmuseum.eu

Platz 2: Sightseeing-To-Go – Der Rothenburger Turmweg

Der Hauptweg und mehrere Erlebniswege sind natürlich in beide Richtungen begehbar, als kurze Etappen oder einmal rund um die Stadt. Einstiege gibt es mehrere, zum Beispiel am Rödertor, Klingentor oder Burgtor. Nahezu barrierefrei, Sitzbänke vorhanden.

Platz 3: Morgensonne trifft Glasfenster – in der St.-Jakobs-Kirche

Die evangelisch-lutherische Stadtpfarrkirche von 1311 liegt auf dem Pilgerweg nach Santiago de Compostela. Sie ist bekannt für den Heilig-Blut-Altar von Tilman Riemenschneider, für den Zwölfboten-Altar, ihre 600 Jahre alten, farbenprächtigen Glasgemälde des Ostchors und die Rieger-Orgel aus Vorarlberg. Orgelkonzerte und Führungen, Klostergasse 15.

Platz 4: Reichsstadt kompakt – im Reichsstadtmuseum. Es zeigt die älteste deutsche Klosterküche, den berühmten Meistertrunk-Humpen von 1616, Tafelbilder der Rothenburger Passion, die Waffenkammer, Fayencen und Goldmünzen. Täglich geöffnet, Klosterhof 5, www.reichsstadtmuseum.info

Platz 5: Hoch hinaus im Rathaus.

Der höchste Aussichtsturm der Stadt, der auf dem Giebel des gotischen Teils des Rathauses aufgesetzt ist, erfordert ein bisschen Kondition zum Erklimmen der 220 engen Stufen und belohnt mit einer großartigen Aussicht über die Dächer der Mittelalterstadt. Marktplatz, Mail: rathausturm@rothenburg.de.

Platz 6: Ins Tal schauen – zum Topplerschlösschen. Im Taubertal ließ sich Bürgermeister Heinrich Toppler im Jahr 1388 außerhalb der Stadtmauer ein charismatisches Schlösschen errichten. Taubertalweg 100, Besichtigung nach telef. Anmeldung +49 9861 7358.

Platz 7: Vom Ritter bis zum Beutelschneider – der Top-Termin

Die Reichstadtfesttage im September machen die glorreichen Zeiten der Reichstadtzeit mit über eintausend Rothenburgern lebendig, die als Ritter und Bürger, Münzer, Schäfer, Stadtpfeifer und Beutelschneider auftreten. Sehenswert! 2020 finden die Festtage vom 4. bis 6. September statt. 27 verschiedene historische Gruppen nehmen teil. Ihre Lager finden sich sowohl in der Altstadt als auch direkt außerhalb der Stadtmauer – zum Beispiel an der Festwiese oder am Kummereck.09.

Infos: Rothenburg Tourismus Service, Marktplatz 2, rothenburg.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2019)

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