Instrument erlernen

Musikalität hat kein Ablaufdatum

Dass die Schüler älter sind als die Lehrer, ist auch für die Leiter der Musikkurse ungewöhnlich.
Dass die Schüler älter sind als die Lehrer, ist auch für die Leiter der Musikkurse ungewöhnlich.(c) VHS/Johannes Zimmer
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Viele Erwachsene erfüllen sich mit dem Erlernen eines Instruments einen Traum. Für die höheren Semester ist das oft nicht mehr ganz so leicht – sie haben aber auch Vorteile gegenüber der jungen Generation.

Prinzipiell ist es nie zu spät, ein Musikinstrument zu erlernen. Mit dem Alter kommen aber neue Herausforderungen. Für Senioren kann es zum Beispiel schwieriger sein, sich einen Fingersatz zu merken. „Ihr Vorteil gegenüber den Jungen ist, dass sie viel über Musik wissen, viel gehört haben“, sagt Stephan Kutscher. Er unterrichtet Gitarre an den Wiener Volkshochschulen (VHS). Seiner Meinung nach zahlt es sich aus, auch im höheren Alter noch mit dem Musizieren zu beginnen, „um sich jung und frisch zu halten.“ Dabei müsse jeder in sich gehen und heraushören, was einem gefällt.

Entscheidung mit Lieblingshits

„Wer sich nicht sicher ist, welches Instrument am besten geeignet ist, kann sich eine Liste mit Lieblingssongs und -künstlern anlegen“, rät Kutscher, „Gitarre zu spielen ist im Vergleich zu Oboe oder Geige aber vielleicht einfacher, weil schnell mal ein Ton herauskommt.“ Er selbst hat mit zwölf Jahren begonnen, die Saiten zu zupfen. „Es ist witzig, wenn die Schüler älter als man selbst sind“, sagt Kutscher. „Man merkt kaum einen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen, weil beide so in die Musikwelt eintauchen.“ Kutschers ältester Schüler ist Ende 60 und Pensionist. Vor einem Jahr hat er mit dem Gitarrespielen begonnen – davor hat er nie gespielt – und seither große Fortschritte gemacht. „Anfangs hat er zwei bis drei Stunden am Tag geübt, es ist zu seinem Leben geworden“, erzählt sein Lehrer.

Ein weiterer Benefit der Erwachsenen sei, dass niemand zu Hause sitzt, der sie zum Üben zwingt. „Sie machen das für sich selbst und üben konsequenter, sofern es die Zeit erlaubt“, sagt Instrumentalpädagogin Agnes Haider. Sie hat Klassisches Klavier studiert und beschäftigt sich seit mehr als zwölf Jahren mit Jazzmusik und freier Improvisation an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (MDW). „Kinder lernen intuitiver als Erwachsene. Die wiederum wollen es oft genauer wissen“, sagt die Professorin. Ihre älteste Klavierschülerin war 85 Jahre alt. Das Allerwichtigste sei, Spaß an der Sache zu haben. Kutscher und Haider sind sich einig: Wer brav übt, kann viel erreichen. Die Unterrichtsmethoden sind je nach Lehrer und Talenten der Schüler unterschiedlich. „Grundsätzlich ist es immer die Begeisterung, die ich weitergebe“, sagt Haider, „und dann stelle ich die Stücke für den Geschmack des jeweiligen Schülers zusammen.“

Eines der gängigsten Angebote, auch für Erwachsene, sind Instrumentenkurse an den Volkshochschulen. Weiters gibt es die Möglichkeit von Privatunterricht, dort kann eventuell in Ensembles mitgespielt werden, wie sie Haider organisiert. Das Angebot für reifere Musikinteressenten in Wien sei aber nicht ausreichend. „Das Problem ist, dass Musikunterricht nur bis zum Alter von 25 Jahren staatlich gestützt ist“, sagt Beate Hennenberg. Die Assistenzprofessorin fokussiert sich in ihrer Arbeit an der MDW auf Inklusive Musikpädagogik und führt ihre Studenten an Musizierformen heran, in denen sie mit erwachsenen Menschen mit Lernschwierigkeiten oder unterschiedlichen Levels an instrumentalen Kenntnissen arbeitet. „Unsere Studenten werden dazu ausgebildet, mit Erwachsenen zu arbeiten, sie zurück zum Musizieren zu bringen oder den altersbedingten Abbau der Fähigkeiten würdig zu begleiten. Wenn der Schüler im hohen Alter die Tonleiter nicht mehr richtig spielen kann, ist respektvoller Umgang damit besonders wichtig“, sagt Hennenberg. Stolz erzählt sie vom Universitätsprojekt „All Stars inclusive“ – einer Band, zusammengesetzt aus Menschen mit Behinderung und Studenten, ein Feld zur Forschung und eine ganz normale Musikgruppe zugleich. Dazu gehört der Pianist mit Autismus-Spektrum genauso wie ein älterer Herr mit Schizophrenie. „Einerseits soll laut der UN-Behindertenrechtskonvention jeder Mensch Zugang zu ,lebenslangem Lernen‘ haben, vom Staat wird das in der Musik aber nur bis ins junge Erwachsenenalter gefördert“, sagt Hennenberg.

Musik als Hirntraining

Viele können sich private Einzelstunden nicht leisten. Das ist für  Hennenberg problematisch, weil die Lebenserwartungen steigen und Musik vor geistigem Abbau schützen kann. „Viele Leute vereinsamen im Alter. Da kann das Musizieren sehr hilfreich sein, um Erscheinungsformen wie der Demenz vorzubeugen“, sagt Hennenberg, „Wenn bereits alle Erinnerungen weggefallen sind, ist der Bereich im Gehirn, das für Musik empfänglich ist, noch aktiv.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2019)

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