Gender Studies

Geschlechterungleichheit aufbrechen

Die verschiedenen Geschlechterklischees sind immer noch präsent.
Die verschiedenen Geschlechterklischees sind immer noch präsent.(c) Getty Images (kaisphoto)
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Die Fragen der Rollenbilder und Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau werden nie abgeschlossen sein. Das macht das interdisziplinäre Studium so vielfältig.

Wie wirken Rollenbilder auf die Gesellschaft? Paul Scheibelhofer, Mitglied im Beirat des Center Interdisziplinäre Geschlechterforschung der Universität Innsbruck, nennt als Beispiel den aktuellen Kriminalfall in Kitzbühel. „Gender Studies könnten aufzeigen, dass wir es hier nicht einfach mit einer ,kranken Person‘ zu tun haben, sondern auf die wichtige Rolle hinweisen, die toxische Männlichkeitsbilder bei solchen Gewalttaten spielen“, meint der Experte. Gender Studies seien jedoch nicht nur zum Verständnis und für die Überwindung von Gewalt hilfreich, sondern etwa auch für den Arbeitsmarkt und die Politik: „Vermehrt wird hier dem Feminismus und den Gender Studies angekreidet, Menschen ihrer vermeintlich ,natürlichen Art zu leben‘ zu berauben“, sagt Scheibelhofer. Konservative Gesellschaftsbilder würden diesen Naturzustand verteidigen und damit die Gleichstellungsbestrebungen zurückdrehen. An der Uni Innsbruck wird seit neun Jahren das interfakultäre Masterstudium „Gender, Kultur und Sozialer Wandel“ angeboten. Verpflichtende Inhalte des Masterstudiums sind Theorien und Geschichte der Geschlechterverhältnisse sowie Fragen der Differenz und Heterogenität in Migrationsgesellschaften. Zusätzlich wählen die Studierenden fünf aus neun Modulen, in denen etwa Wissen über ökonomische Zusammenhänge, über Kultur, Interkulturalität und Ethnizität oder über Medien erarbeitet wird.

Viele Einsatzmöglichkeiten

Entsprechend vielfältig sind die Einsatzmöglichkeiten nach dem Studium. Die Absolventen „finden eine große Bandbreite vor, können in der Personalabteilung eines großen Konzerns genauso arbeiten wie in einem Jugendzentrum oder in der kommunalen Verwaltung“, erläutert Scheibelhofer. An der Universität Wien sind vor vier Jahren die Zahlen derer, die Geschlechterstudien belegen, um 100 Prozent in die Höhe gegangen, „seither sind die Studierendenzahlen stabil. Wir haben mehr Frauen als Männer, aber die Zahl der Männer geht über das Stereotyp ,Quotenmann‘ hinaus“, sagt Maria Mesner, Leiterin des Referats Genderforschung an der Uni Wien. Dort kann man in einem Masterstudium Erkenntnisse über historische und aktuelle Wirkmacht von Geschlechterkonstruktionen in Wissenschaft und Gesellschaft erlangen. „Warum wir Gender Studies brauchen? Weil die ungleichen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern nach wie vor stabil sind, und das, obwohl es das gesellschaftliche Ziel ist, gleiche Chancen für alle zu schaffen“, sagt Mesner. Weil das Thema denkbar komplex sei, sei der Master breit aufgestellt und finde Bezugspunkte in sozial-, kultur- und wirtschaftswissenschaftlichen Studien. „Spezialisierungen auf Gender Studies sind allerdings auch in anderen Masterstudien möglich, beispielsweise in der Politikwissenschaft, der Soziologie und den Rechtswissenschaften“, sagt Mesner.

KI kennt nur männliche Sicht

Wie weit Gender Studies in andere Fachbereiche hineinreichen, illustriert Barbara Hey, Leiterin der Koordinationsstelle für Geschlechterstudien und Gleichstellung an der Universität Graz: „Vor 40 Jahren hat man sich gefragt, warum es in der bildenden Kunst keine Frauen gibt. Heute steht unter anderem im Raum, dass bei der Programmierung von künstlicher Intelligenz hauptsächlich die Verhaltensweisen eines weißen, erwachsenen Mannes herangezogen werden“, weiß die Expertin. „Gender Studies nehmen aber auch viele Selbstverständlichkeiten unter die Lupe, beispielsweise in Organisationen oder bei Karrieremodellen.“ Im Masterstudiengang Interdisziplinäre Geschlechterstudien der Uni Graz lernen die Studierenden, wie Ungleichheiten entstehen und beseitigt werden können, wie Gleichstellung gefördert und Möglichkeiten für Veränderungen aufgezeigt werden können. „Dass wir Stereotypen, Zuständigkeiten und Rollen infrage stellen, weckt in vielen Menschen Emotionen. Denn damit werden Privilegien und Gewohnheiten auf den Prüfstand gestellt“, sagt Hey. Die Absolventen aus Graz gehen häufig in die Medien oder Werbung, aber auch in Schulen. „Unbefriedigend ist nach wie vor, dass das Image des Studiengangs eher weiblich ist. Andererseits stellen wir fest, dass Männer das Masterstudium eher abschließen“, berichtet Hey.

Veranstaltung

Die Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Geschlechterforschung (ÖGGF) mit dem Titel „Geschlecht und Geschlechterverhältnisse in Transformation: Räume – Relationen – Repräsentationen“ findet vom 7. bis 9. November an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck statt.
www.uibk.ac.at/congress/oeggf2019

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2019)

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