Analyse

Rückenwind für Äthiopiens große Hoffnung

APA/AFP/EDUARDO SOTERAS
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Premier Abiy Ahmed erhält den Friedensnobelpreis 2019 - vor allem für seine Bemühungen um eine Aussöhnung mit Eritrea. Doch er muss die eingeleiteten Reformprozesse nun weiterführen.

Oslo/Addis Abeba/Wien. Wieder einmal war Abiy Ahmed für eine Überraschung gut. Am Freitag zeichnete das Nobelpreiskomitee in Oslo den äthiopischen Ministerpräsidenten für seinen Einsatz für Frieden und internationale Zusammenarbeit mit dem Friedensnobelpreis aus. Abiy stach auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg aus, die ebenfalls als Favoritin für die von Alfred Nobel ins Leben gerufene Auszeichnung galt. Die Unberechenbarkeit, sie liegt dem 43-jährigen Shootingstar Afrikas – und sie verhalf ihm über Nacht zu Weltruhm.

Nur drei Monate nach der Machtübernahme schloss der jüngste Regierungschef Afrikas im Juli 2018 Frieden mit dem erbitterten Rivalen Eritrea. Die Symbolkraft des Friedensschlusses in den Ländern und der Region war enorm. Denn der Schritt galt als undenkbar: Der Konflikt zwischen dem zweitbevölkerungsreichsten Land Afrikas und seinem „kleinen Bruder“ geht Jahrzehnte zurück. Nach einem 30-jährigen Unabhängigkeitskampf hatte Eritrea 1993 die Unabhängigkeit von Äthiopien erlangt. Fünf Jahre später flammten die Spannungen wieder auf. Dem zweijährigen Grenzkrieg um den Wüstenort Badme von 1998 bis 2000 fielen 80.000 Menschen zum Opfer.

18 Jahre blieben die Nachbarn weiter verfeindet: Addis Abeba weigerte sich, einen in Den Haag gefällten Schiedsspruch zugunsten Eritreas zu akzeptieren. Bis Abiy dem Präsidenten des international abgeschotteten Staates, Isaias Afwerki, aus heiterem Himmel bedingungslosen Frieden anbot. Flugverbindungen und Telekommunikation wurden aufgenommen, Verwandte und Freunde konnten sich nach 20 Jahren wieder hören oder sehen. Auch dem Sudan hat Abiy nach dem Sturz von Präsident Omar al-Baschir im April zu einem Weg aus der politischen Krise geholfen.

Ernüchterung tritt ein

Ebenso radikal startete der ehemalige Offizier Abiy einen Reformprozess, der das Land am Horn von Afrika nach jahrelanger Autokratie aus der repressiven Schockstarre lösen sollte. Er leitete Wirtschaftsliberalisierung und Demokratisierung ein, ließ politische Gefangene frei, erlaubte Rebellen die Rückkehr ins Land und ließ Dutzende Vertreter aus Militär und Geheimdienst wegen mutmaßlicher Menschenrechtsverstöße festnehmen. Gleichzeitig stärkte er die Rolle von Frauen an der Staatsspitze: Die Hälfte seines Kabinetts ist weiblich.

Doch nach eineinhalb Jahren mischt sich Ernüchterung in die „Abiymania“: Mit wagemutigen Initiativen und Charisma alleine seien kaum langfristige Veränderungen möglich, sagen Kritiker. Die Reformen müssten institutionalisiert werden. Zudem ist unklar, welchen Rückhalt seine Öffnungspolitik im Establishment hat. Viele von Abiys eingeleiteten Reformen wurden nicht weitergeführt oder umgesetzt – allen voran der Friedensprozess mit Eritrea. Seit der Unterzeichnung des Vertrags gab es kaum Fortschritte. Unter anderem, weil Abiy für eine Aussöhnung auf die mächtige Minderheit der Tigrinya angewiesen ist. Sie saßen an den Schalthebeln der Macht, bevor Abiy als Vertreter der größten Volksgruppe der Oromo im April 2018 ins Amt kam.

„Noch ein langer Weg“

Die ethnischen Konflikte in dem Vielvölkerstaat (rund 105 Millionen Einwohner) haben sich im vergangenen Jahr verschärft: Nach UN-Angaben verdoppelte sich die Zahl der Binnenvertriebenen fast auf 3,2 Millionen. Dass sich Abiy rasch Feinde gemacht hat, verdeutlichte ein misslungener Attentatsversuch im Juni 2018.

So ist die Entscheidung des Nobelkomitees als Zeichen an den „Überflieger“ zu verstehen: Die Vorsitzende, Berit Reiss-Andersen, betonte, dass das Komitee Abiy mit der Verleihung „in seiner wichtigen Arbeit für Frieden und Versöhnung“ stärken wolle. Doch: „Es ist noch ein langer Weg.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2019)

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