Blick von Norden über den Bodensee aufs Rheintal. Rechts vom Rhein ist die Schweiz, das Ufer am unteren Bildrand gehört zu Deutschland. Bregenz ist links im Bild am Ostende des Sees.
Geschichten des Jahres 2019

Wir Gsiberger sind net besser, aber g'höriger

Es gibt selbst in Ostösterreich die These, Vorarlberg sei das bessere Österreich. Nun ja, wenn man das dort hinter dem Arlberg in Ostarlbergien meint, dann könnte ja wirklich etwas dran sein. Odr?

Geschichten des Jahres. Dieser Artikel ist am 11. Oktober 2019 erschienen.

Alle Jahre wieder, nicht zuletzt vor Landtagswahlen in Vorarlberg oder wenn’s um Themen wie Wirtschaft, Wohlstand und Sparsamkeit geht, steht auch im fernen Ostösterreich unser kleines Ländle im Rampenlicht. Meist kommen wir dabei eher gut weg. Sogar der Chefredakteur der „Presse" hat einmal die These publiziert, wonach Vorarlberg, mein puppenhäusiges Ländle im Westen, „das bessere Österreich" sei.

Also wenn ein Tiroler, der seit Ewigkeiten in Wien lebt, das so sieht, dann könnte ja etwas dran sein. Und dann bin ich nicht hoffärtig, sollte ich unter Umständen auf ein ähnliches Ergebnis kommen wie er. Odr? 

Ich muss vorausschicken, dass ich jetzt, mit Ende 40, schon rund 60 Prozent meines bisherigen Lebens sozusagen in Ostarlbergien gelebt habe: Da war ein Jahrzehnt für Studium, Bundesheer und Arbeit in Innsbruck, ein Jahr an der Donau-Universität in Krems, drei Jahre in Wien, und seit 2003 lebe ich in Niederösterreich in der Nähe von Wien. Freundschafts- und frauenbedingt war ich oft und lange in Salzburg und der Steiermark, ich kannte manch Kärntnerin, bin oft im Burgenland - und übrigens mütterlicherseits Oberösterreicher. Meine Frau ist aus NÖ, ihre Eltern sind Wiener, unser Bub ist also quasi ein Gsiwieniederösterreicher.

Greber

Also ich denke, dass ich Österreich und seine Stämme, lokalen Stimmungen, Mentalitäten, guten und schlechten Seiten im Laufe der Jahre überdurchschnittlich gut kennengelernt habe und halbwegs treffend einordnen kann.

Okay, schön ist es auch anderswo

Nun, dass Vorarlberg zunächst einmal verdammt schön ist, ist klar, aber das ist es anderswo in Österreich und der Welt auch, darin kann also kein Vorbild, kein Grund zur Arroganz liegen (davon sprechen und es rühmen darf man aber sehr wohl). Für die topografische Grundgestalt und Ausstattung der Umwelt kann der Mensch ja grundsätzlich wenig, die Natur hat das alles geschaffen. 
Er kann das natürlich in gewissen Grenzen verändern, verschandeln oder pflegen.Also wo sind wir Gsis wirklich besser? Wir sind doch nur etwa 395.000 Leut’. Der Ausländeranteil* beträgt übrigens fast 18 Prozent, das ist Rang zwei nach Wien (30%); im Wahljahr 2014 waren es noch etwa 15 Prozent. Der Anteil von Personen mit ausländischem Migrationshintergrund lag 2018 sogar schon bei rund 26 Prozent, das ist ebenfalls Rang zwei nach Wien (gut 45%).

Schön leben statt urbaner Lebebatterien

Wir sind jedenfalls etwas weniger als beispielsweise Grazer und Innsbrucker zusammen, etwas mehr als Salzburger plus Innsbrucker plus Klagenfurter, oder in etwa Wien-Favoriten, Ottakring, Margareten und Neubau auf einem Haufen - das allerdings so hübsch verteilt auf 2600 Quadratkilometern, dass sich für sehr viele von uns ein menschengerechtes, bukolisches Leben in eigenen Häusern, Reihen- und Mehrparteienhäusern mit Garten ausgeht statt verdichteter Menschenhaltung in urbanen Lebebatterien. 

Und das in einer in vieler Hinsicht gut vernetzten und durchlüfteten Region im Bodenseeraum mit leichtem Anschluss an bzw. viel Austausch mit den Nachbarländern, das hellt Gemüt und Gesundheit auf. Immerhin ist die Lebenserwartung mit (2018) 82,6 Jahren die Dritthöchste in Österreich und praktisch gleichauf mit jener in Tirol und Salzburg. Schlusslichter sind dabei Wien, NÖ und das Burgenland, wo (ein bekannter medizinischer Faktor) ja auch die Adipositas-Rate statistisch und offensichtlich höher ist.

Sprachgewandte Käsekönige

Nun, wir sind, man glaubt es angesichts unserer bizarren Sprache kaum, sprachlich oft beschlagener als die meisten in Ostarlbergien. Wir verstehen nämlich alle Österreicher dort, nicht alle dort aber verstehen uns.

Das also ist ein schnelles 1:0 und teilweise auch dem ORF geschuldet, der uns von Kind auf Ostsprachen lernen lässt. Auch unser Käs, dieses Aushängeprodukt, ist der Beste, keine Debatte! Wir machen zwar nur etwa fünf bis acht Prozent des Ö-Käses (Hart-, Schnitt- Weichkäse). Aber doch stattliche etwa 40 Prozent des Alpkäses, und nicht nur der gilt bundesweit und international als Aushängeschild und Käs-Elite. Wir räumen international reihenweise Käspreise ab, Vorarlberger Bergkäs(e) ist eine geschützte europäische Ursprungsbezeichnung, und so weiter.

Greber

Was in manch anderen Bundesländern entsteht, meist durch Großerzeuger (ich nenn jetzt weder Namen noch Länder, sonst tunken die mich ins Käsfondue), ist ja oft gestockte Milch mit Kunststoff-Goût, kein Käs. Selbst die bei Agrarmarkt Austria (AMA) schreiben: „Mit Sicherheit hat Vorarlberg in Österreichs Käseproduktion einen Spitzenrang. Die Alpinwirtschaft bringt aufgrund ungedüngter Wiesen, einer besonderen Graswurz und klarer Höhenluft eine geschmacklich unerreichte Milch hervor."

Frankreich ist näher als Kufstein

Man merkt jedenfalls käskulturell schon auch den geschmacklichen Einfluss der Schweiz und des nahen Frankreichs (richtig gelesen: Von Bregenz bis zum Elsass ist es etwa gleich weit wie nach Wörgl im Tiroler Unterland), wo man grundsätzlich zu eher würzigeren und reiferen, mithin wahrlich stinkigen Käsen neigt. Aber ich gestehe (und hoffe, dass man mir beim nächsten Ländlebesuch nicht mit Heugabeln nachrennt): Im Zillertal etwa und in der Obersteiermark machen sie schon auch an guata Käs! Lass ma den Käs.

Klar spitze ist mein Ländle auch bei Wirtschaft und Wohlstand: Die Arbeitslosenrate ist immer relativ gering, 2018 waren es im Jahresmittel 5,4 Prozent (Ö-Schnitt 7,7%, besser waren aber doch OÖ, Salzburg und Tirol). Das Primäreinkommen pro Kopf ist stets top, zuletzt (Zahlen von 2017 laut Statistik Austria) mit 29.800 Euro (Ö: 26.200) wieder einmal klar Platz eins.

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Das Bruttoinlandsprodukt pro Erwerbstätigem betrug 2017 (aktuellste Zahl) im Ö-Schnitt 83.800 Euro, in Vorarlberg rund 90.000. Nur Wien war mit 91.600 Euro besser, aber: Dort haben überproportional viele bundesweit und international tätige Firmen ihren Sitz, und auch, wenn sie in der Hauptstadt nichts erzeugen (etwa OMV, Verbund) und nur die Verwaltung haben, gelten sie steuerlich und nach anderen ökonomischen Kriterien als wienerisch.

Wir sind Industrie!

Unser Gsibergerwohlstand fußt unter anderem in der starken Industrie und Sachgütererzeugung: 2017 waren pro 1000 Einwohner 74 Beschäftigte in der Industrie, Rang eins vor Oberösterreich (70), Ö-Schnitt: 45.

Der Industrieproduktionswert pro Einwohner betrug 20.646 Euro (Rang zwei nach OÖ), der Anteil von laut Industriellenvereinigung zuletzt rund 31 Prozent der Beschäftigten in der Industrie ist der höchste Österreichs (Schnitt: 22; Wien: 12). Rechnet man den mit Industrie und Warenproduktion verbundenen Dienstleistungssektor dazu, stammt fast jeder zweite Job in Vorarlberg direkt oder indirekt von der Industrie. Vorarlberg ist der vielzitierte „Exportmeister" Österreichs: Seit langem gehen rund 60 Prozent unseres Outputs ins Ausland, wir liefern uns da mit OÖ ein Kopf-an-Kopf-Rennen, bei einem Ö-Schnitt von um die 38 Prozent. Unser Anteil an den Gesamtausfuhren beträgt zwar nur sieben Prozent (Rang 7), aber das ist höher als unser Anteil an der Bundesbevölkerung (4,4%). Und beim Exportwert pro Einwohner sind wir mit etwa 26.000 Euro sogar auf Rang 1 (Ö-Schnitt ca. 17.000).

Nun, lassen wir die Zahlenflut. Kurz gesagt: Es geht uns schon recht gut, nicht zuletzt deshalb sind ja über Jahrzehnte auch viele Steirer, Kärntner und andre Ostarlbergier zugezogen. Allerdings bezahlen wir unseren Wohlstand mit einem überdurchschnittlich hohen Niveau bei Preisen, Lebenshaltungskosten, und haben die höchsten Mieten Österreichs. Bestellen Sie etwa ein Achterl Wein - Sie werden sich wundern, speziell als Osti. 

Greber

Und bei der Armutsgefährung ist Vorarlberg tatsächlich nicht besser als der Rest, sondern lag 2018 mit etwa 18 Prozent der Einwohner im Bundesschnitt (angeblich jedenfalls, manche Quellen sagen, der Wert sei niedriger).

Westwendung dank Maria Theresia

Tatsächlich war mein Ländle, das die seit 1278 in Wien regierenden Habsburger ab 1363 stückweise erwarben, um eine Brücke zu ihren Stammlanden in der Schweiz zu schaffen, lange bettelarm. (Ja, die Habsburger waren ein Adelsgeschlecht aus dem Gebiete der heutigen Schweiz, Stammburg im Kanton Aargau, und mit früheren Wurzeln im Elsass. Klar, der Name „Schweizer" taucht zwar erst lange nach 1278 auf, abgeleitet vom Kanton Schwyz und seinen gefährlichen Kriegerbauern, nämlich in Ansätzen 1386 und dann so richtig ab 1415, als ihn der römisch-deutsche König Sigismund in einem Schreiben verwendete, aber wie dem auch sei: Nimmt man's nicht allzu genau, kann man sagen, dass die klugen Österreicher sich jahrhundertelang sozusagen von Schweizern regieren ließen, harhar!)

Greber



Aber ehrlich gesagt: Welche Region Österreichs, ja Europas, war en gros gesehen früher nicht mehr oder weniger arm? Doch zurück zu Vorarlberg. Weil die im Rheintal früh entstandenen Textilmanufakturen unter Kaiserin Maria Theresia nicht in den Osten Österreichs exportieren durften (die Herrscherin schützte nämlich so die Textilerzeuger ihres geliebten Schlesiens), mussten wir uns den Westen erschließen, wohin es ja sowieso geografisch offen und näher ist und die Leute uns ähnlich sind. Das merkt man auch an typischen Gsi-Namen wie Rhomberg, Bösch, Häusle, Malin, Wachter, Zumtobel, Gächter oder Greber, die in Frankreich, der Schweiz und Südwestdeutschland ebenfalls verbreitet sind.

Red Bull kommt aus dem Ländle

Diese Westorientierung trug spätestens nach 1918, als die Wirtschaft und vieles andere in Ostösterreich kollabierten, reiche Früchte. Und während nach 1945 dort der Eiserne Vorhang und die nicht minder dichte Grenze zu Jugoslawien vieles eindämmten, konnten wir ungestört „schaffa" und exportieren. 

Heute haben wir bedeutende Unternehmen etwa im Sektor Maschinenbau, Elektronik, Textilien und Lebensmittel: etwa den Seilbahnweltmarktführer Doppelmayr, den Beschlägekonzern Blum, den Leuchtmittelhersteller Zumtobel und - wenig bekannt - Alpla, das ist der wichtigste Erzeuger von Kunststoffverpackungen, speziell Plastikflaschen, weltweit; dessen Produkte sieht jeder Mensch vermutlich mindestens einmal am Tag, Supermärkte sind jedenfalls voll davon, nur erkennt man Alpla-Produkte als solche eben nicht: Da steht dann nämlich etwa Coca-Cola, Vöslauer, Rauch, NÖM, Persil, Heinz, Palmolive, Head&Shoulders oder WC-Ente drauf.  

Österreichs vermutlich bekanntestes Produkt, Red Bull, vorgeblich ein Salzburger Geschöpf, wird von der Rankweiler Firma Rauch abgefüllt.

Greber

Übrigens: Das erste Telefon der k.u.k.-Monarchie stand nicht in Wien, Salzburg, Prag, Budapest oder Triest, sondern justament in Dornbirn. Es verband zwei Standorte der Textilfirma F. M. Hämmerle und wurde von Kaiser Franz Josef im August 1881 bei einer Visite in diesem seinem Erbland eingeweiht, das er erstmals 1850 besucht hatte.

Arbeiten statt theoretisieren

Sicher entstammt dieser Wohlstand auch Fleiß - einer Eigenschaft, die uns so wie unseren mehr oder weniger alemannischen Geschwistern etwa im Elsass und in Baden-Württemberg nachgesagt wird. Allerdings ist Fleiß in der deutschen Volkskunde eine Eigenart, die über die Zeiten so ziemlich jedem deutschstämmigen Völkchen zugeschrieben wurde, von den Bayern bis zu den Friesen.

Und sind wir wirklich fleißiger als die in Ostarlbergien? Schwer zu sagen. Sicher heißt's bei uns „Schaffa, schaffa, Hüsle baua", und welch anderes Volk in Ö bekennt sich derart offensiv zu Arbeit statt zu Frühpension? Nur: Die Ostarlberger in meinem beruflichen wie privaten Umfeld sind zumeist auch alles andere als faul, ja mithin bemitleidenswert hyperaktiv.

Zudem ist es so: Überproportional viele von uns pendeln in die Schweiz und nach Liechtenstein zu, vor allem für ostarlbergische Verhältnisse, extrem gut bezahlter Arbeit. Fiele das weg, wär's vorerst aus mit schaffa, und die Arbeitslosenrate im Ländle würde explodieren.

Dass uns Lehre und Handwerk aber wichtiger und wertvoller sind als im Großteil Österreichs, ist bekannt und sollte sicher vorbildlich sein. Das schlägt sich etwa in einer vergleichsweise geringen Jugendarbeitslosigkeit, höherer wirtschaftlicher Gesamtleistung und dem guten Ruf des Vorarlberger Handwerks nieder. Und während anderswo an Unis ökonomisch blutarme, teils ideologisch aufgeblasene Rechthaber- und Wolkenkuckucksheimstudien vor allem im geisteswissenschaftlichen Bereich blühen, lernt man in Vorarlberg, wie man Maschinen, Leuchtkörper, Kräne für die Schifffahrt (!), Straßen, Mauern, Rauchabzüge, Käs, Plastikflaschen, Lingerie und so weiter g'hörig macht bzw. g'hörig wartet und so griffige Werte schafft und zum Wohlstand beiträgt.

Gut, dass wir keine Uni haben

Und wer formal g’scheiter werden will, geht eben nach Innsbruck, Salzburg, Graz, Leoben oder Wien, oder an eine Uni in der Schweiz oder Süddeutschland, lernt Sachen wie Medizin, Jus, Ingenieurswesen, Biologie, Chemie, Montanistik, Musik, Geschichte oder Sprachen und bringt das Wissen zurück, sofern er nicht bleibt. Ich bin eigentlich ganz froh, dass es keine Uni in V gibt. Denn dadurch müssen - und dürfen - Vorarlberger Studenten in die Ferne ziehen und so Lebenserfahrung abseits von Mamis Herd sammeln, in neuen geografischen, kulturellen und sozialen Umfeldern, was etwa Studenten, die in ihren eigenen Heimatstädten oder sonst in der Nähe eine Universität haben, in diesem Ausmaß natürlich so nicht können.

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Sparen ist nie ein Fehler

Wir haben sicher ein gutes Händchen fürs Wirtschaften. So denken wir, dass es sich auf einem geldgefüllten Kissen besser schlafen lässt als auf einem Schuldkissen, und so ist auch die Sparquote bei uns höher und die private Verschuldung im Schnitt geringer als in Ostarlbergien. Allerdings wuchs zuletzt die Zahl der Privatkonkurse stark.  Auch die Landesverschuldung ist die kleinste Österreichs: 2018 waren es laut Statistik Austria 204 Millionen Euro (und das hat die in der Landesregierung gewurmt!). In Tirol waren's 255 Millionen, in Salzburg schon 1,5 Milliarden, von NÖ und Wien wollen wir nicht reden (8,6 Milliarden bzw. 7,5 Mrd. Euro). Pro Kopf waren Gsis nur mit etwa 520 Euro öffentlich verschuldet, Niederösterreicher hingegen mit 5150 und die Kärntner Kirchenmäuse mit etwa 6160 Euro (Danke, Jörg!).

Greber


Wenn uns Soziologen und Volkskundler auch noch andere positiv besetzte Eigenschaften wie Nüchternheit, Bescheidenheit und Skepsis gegenüber Autoritäten zuschreiben, so ist das sicher nichts Unrühmliches.

Wichtig zum Grundverständnis unserer Mentalität aber ist der oben bereits mehrfach erwähnte Begriff „g'hörig". Das heißt „wie es sich gehört" und ist ein komplexes, auch emotional beladenes Bedeutungsbündel. Es steht für so viel wie „anständig" (aber ohne den Blut-und-Boden-Unterton à la FPÖ), vernünftig, gut, richtig, schön, stark, viel, wertvoll, von guter Qualität, nahrhaft, fleißig, fair, gerecht.

Kernbegriff unserer Mentalität: „g'hörig"

Jemand, der seine Arbeit gut macht, der Schrauben statt Nägeln nimmt, schafft g'hörig. Wer fleißig lernt, lernt g'hörig, geborgtes Geld rasch zurückzahlen ist g'hörig. Ein g'höriges Essen ist bodenständige Hausmannskost, nahrhaft und reichlich, ein Chi-Chi-Gericht à la mit Garnelen gefüllte Datteln auf linksdrehendem Hummus ist nicht g'hörig. Eine g'hörige Frau kann kochen, zupacken, ist nett und zumindest halbwegs hübsch, aber nicht zu hübsch, und ja kein Luxusweibchen! Ein g'höriger Mann kann Skifahren, Reifen selber wechseln, Lampen montieren und mäht den Rasen, bei Basisphysik, Geschichte, Geografie und Politik kann er auch mitreden. Wer aber nur mit Büchern kann und sonst nix Handfestes, der ist nicht g'hörig. So heißt’s halt oft, bisweilen ironisch. 

Ab fünf Bier ist's ein g'höriger Rausch, und wer hoch verschuldet oder in Scheidung ist, hat an g'hörigen Scheiß beianand. Wer hinter dem Rücken anderer blöd redet, intrigiert oder sich anderen andient, ist auch nicht g'hörig. Halbseidene Typen sind nicht g'hörig. Walter Meischberger ist nicht g'hörig. Jörg Haider und HC Strache haben nur so getan.

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Viele Vorarlberger Frauen legen sich übrigens spätestens Ende ihrer 20er eine g'hörige Frisur zu. Das ist dieser Phänotypus schwarz bzw. rötlich gefärbte, eckige und praktische Kurzhaarfrisur. Vorarlbergerinnen sind damit oft leicht erkennbar. 

Wir halten außerdem besonders viel von „Fairness", das ist g'hörig und da sind wir den Engländern ähnlich, vor allem, weil in unserem Denken auch so etwas wie das angelsächsische Rechtsprinzip der „Equity", der „Billigkeit", eine Rolle spielt, eine naturrechtliche Gerechtigkeit und Verhältnismäßigkeit, die über dem geschriebenen Gesetz steht und in der Ethiklehre des Aristoteles wurzelt. Jedenfalls ist „g'hörig" irgendwie ein Ausfluss daraus, denn wer andere unfair oder arrogant behandelt, wer falsch, intrigant, „hintenrum" oder listig ist, wer wichtig tut, sich auf windige Weise bereichert, auf Paragrafen reitet oder uns mit selbigen plagt, ist nicht g’hörig.

Bestechen sollen andere

Darum gelten wir Vorarlberger auch als weniger korrupt. Die berühmte Sache mit dem „Kuvert" etwa (darin ist dann ein allseits beliebtes Ding, mit dem die Menschheit Tauschgeschäfte weitgehend abgelöst hat) gibt es bei uns – angeblich - nicht, das fängt, wie manch Vorarlberger Unternehmer befindet und mir jedenfalls berichtet, ab Salzburg ostwärts an. Ja, da war vor wenigen Jahren die Testamentfälscheraffäre am Bezirksgericht Dornbirn, also die hat g'hörig an unserem Image gekratzt. Aber die Tatsache, dass der Wirbel zu Recht so enorm war, zeigt auch, dass solche Affären bei uns etwas eher Seltenes sind. In Ostarlbergien hingegen gehört das angeblich ja fast zur gewöhnlichen Geschäftstätigkeit, sagt man zumindest in Vorarlberg mit giftigem Unterton.

Greber


Wir mögen auch Unterwürfigkeit und Einschleimen nicht, das Gemauschle, das Hintenrum-Gepackel ist nicht so unseres - wenngleich es nicht ganz falsch ist, mit einer bestimmten politischen Partei oder gewissen Mächtigen verbandelt zu sein. Wir stechen selten mit dem Messer von hinten zu, wie es andernorts zu beobachten ist. Aber wenn wir einmal auf Rammgeschwindigkeit gehen, können wir so wuchtig wie listig sein. Und zwar auf eine bauernschlaue Art, die sich gern als „vernünftig" tarnt, jedenfalls aber - nach Möglichkeit - auch noch juristisch korrekt ist, oder zumindest innerhalb einer erlaubten rechtlichen Grauzone, was dann Ostarlberger mitunter kalt erwischt.

Wir stellen den Inhalt über die Form

Wir sind sprachlich recht direkt, und wenn wir glauben, etwas sagen zu müssen, sagen wir es - und zwar unverschwurbelt, was Indirekt-Kommunizierer mithin irritiert, aber wir stellen den Inhalt über die Form, nicht die Form über den Inhalt. Sprüche wie „Das kann man so nicht sagen" hassen wir, auch das affektierte Getue von wegen „Ton" oder „Tonalität". Und politisch korrekt sind wir auch - eher - nicht, der Käsgott behüte! In dieser Hinsicht sind indes die meisten Ostarlberger in Wahrheit und im außermedialen Bereich auch nicht anders. 

Wir sind großteils keine Poseure, wie gesagt, die Form ist weniger wichtig als der Inhalt. Darum geht es auch, finde ich, irgendwie entspannter zu zwischen Arlberg und Bodensee. Da ist nicht diese urbane Wichtigtuerei und kein verkrampfter Versuch, sich von „der Provinz" abheben zu müssen. Provinz ist erstens fast überall, zweitens wird der Mensch mit zunehmender Besiedlungsdichte nicht edler, klüger und besser, und drittens sind auch Städte wie Graz und Wien im Grunde nichts anderes als an ein paar Kulturkernen kondensierte Provinz.

Wir brauchen keine Aufmunterungsparolen

Das Leben ist jedenfalls gut hier, wir sind aber auch genügsam. Wir Vorarlberger müssen übrigens auch im eigenen Land keine Plakate aufstellen oder Werbungen in Zeitungen schalten so wie die das in Wien immer wieder machen, auf denen die Stadtverwaltung für das Leben in der Stadt wirbt und wie super hier nicht alles sei. Also wenn man Werbung für die Stadt in der eigenen Stadt machen muss, mit flehenden Slogans wie „Wien ist lebenswert", dann stimmt doch etwas nicht! Normalerweise wirbt man außerhalb der eigenen Grenzen für sein Land und braucht keine Aufmunterungs-, ja Durchhalteparolen für die eigenen Leute.

Greber


Apropos Wien: Die halbe Stadt liefe ja ohne Vorarlberger nicht, und es geht dabei nicht um Hilfsdienste. Beispiele gefällig? Das Wiener Bier etwa - Ottakringer - macht Sigi Menz aus Dornbirn. Die Bregenzerin Sabine Haag macht das Kunsthistorische Museum. Den „Falter"- die ur-urbane „Wiener Stadtzeitung" - macht ebenfalls ein Bregenzer, Armin Thurnher. Ein paar bekannte ORF-Gsichter sind Gsis. Und so weiter.

Weltoffen sind wir schon lange

Dass all die erwähnten nicht g'hörigen Dinge auch bei uns passieren, kommt natürlich vor. Aber nicht jeder von uns ist eben g'hörig, und gegen den Import fremder Sitten kann man sich schwer abschotten. Wir sind nämlich in der Tat weltoffen, und zwar mindestens so, wie es manche in Wien von sich bzw. ihrer Stadt behaupten.

Das liegt unter anderem an der Lage Vorarlbergs, das immer schon Richtung Schweiz, Süddeutschland, Frankreich und wenn wir wollen Norditalien hin offen war und einen entsprechenden Waren-, Personen-, Kultur- und Lebensartaustausch hatte, während der Osten und Süden Österreichs viele Jahrzehnte vom Eisernen Vorhang und Jugoslawien umhüllt war und sozusagen im eigenen Sud schmorte. Fuhr man noch Ende der 1980er über Tirol beispielweise nach Linz oder Wien, hatte man wirklich - das fing etwa ab Mondsee, spätestens bei Wels an - das Gefühl, als fahre man in einen Sack hinein, in den sie zur Rettung der dortigen Menschheit coole Lokale, Museen, Theater, Kulturveranstaltungen und andere Attraktionen aufgestellt hatten.

Greber

Und da war noch ein wichtiger Faktor: Im Ländle gab es schon ab den 1960ern etwas, das man „Ringleitung" nannte und im Grunde Kabelfernsehen war. Damit ließen sich fast alle Schweizer und (west)deutschen TV-Sender bis hinab zu Regionalkanälen wie dem Südwestfunk, MDR und NDR empfangen.

Durch die kam ein breiterer Ausschnitt der Welt zu uns als im Großteil Ostarlbergiens, wo sich die Welt bis in die 1980er durch zwei Kanäle des Staatssenders ORF quetschen musste. Ich kann mich noch erinnern, wie eigenartig das immer war, wenn es bei meinem Onkel Johnny, der nahe Hörsching bei Linz wohnte, nur FS1 und FS1 gab, und das noch Mitte der 80er.

Konservativ ist cooler

Ja, natürlich sind wir tendenziell eher konservativ. Sogar der hohe Grünenanteil bei uns ist im Kern eher konservativ, jedenfalls g’hörig. Bei der Nationalratswahl jüngst war der Grünenanteil im Ländle mit 18,14 Prozent der zweithöchste nach Wien (20,69). Aber unsere Grünen sind viel weniger ideologisiert und vergendert als die in Wien. Und ist konservativ grundsätzlich eine schlechte Eigenschaft? Konservativismus ist vielmehr eine vernünftige Konsequenz gesunder Skepsis! Wir nehmen bloß nicht alles, was als „neu", „alternativ", „fortschrittlich", „besser" daherkommt, und sicher nicht jeden Blödsinn, unreflektiert als automatisch g'hörig auf. Wir schauen uns die Dinge erst einmal an und wägen sie ab, bevor wir sie beurteilen und gegebenenfalls für g'hörig befinden. Und wir sind nicht justament gegen Neuerungen.

»"Meor ehrod das Ault, und grüssed das Nü, und blibot üs sealb und dr Hoamat trü."«

Gebhard Wölfle, Bregenzerwälder Mundartdichter (1848-1904)

Der Bregenzerwälder Dichter Gebhard Wölfle (1848 – 1904) hat das einst herrlich formuliert: "Meor ehrod das Ault, und grüssed das Nü, und blibot üs sealb und dr Hoamat trü." ("Wir ehren das Alte, begrüßen das Neue, und bleiben uns selbst und unserer Heimat treu.") Wir fällen auch ungern Schnellschuss-Urteile, wie sie leider etwa im Journalismus so alltäglich wie nötig sind.
 Im Übrigen ist konservativ, das Bewahren, eine grundsätzliche Eigenschaft eines jeden Menschen: Jeder ist bezüglich dessen konservativ, was ihm wichtig ist.

Greber


Versuchen Sie etwa einmal, an den im Zuge langer Auseinandersetzungen aufgebauten Arbeits- und Sozialrechten oder beim Umweltschutz etwas wegzunehmen: Ach, da werden Sozialisten, Grüne und andere Linke aber schnell sehr konservativ, beharrend, wahrend, mauernd, im Grunde reaktionär.

Wir Gsiberger sind, von einigen teils banalen Offensichtlichkeiten abgesehen, keine genetisch oder kulturell besseren Österreicher. Dazu fällt mir übrigens ein Schwank ein, der sich kürzlich ereignet hat: Fragt mich doch mein lieber Ressortleiter in der „Presse", ein echt klasser und mehr als alemannenfleißiger Kerl, so halbernst, ob ich fände, dass Vorarlberger die besten Österreicher seien. Ich hab natürlich trocken nein gesagt. Weil er ist Wiener, und das denken sich doch normalerweise die von sich, odr? Harhar! Okay, das war Satire, Ironie, whatever. Wir Gsis sind jedenfalls entspannter. Direkter. Moderater. Trockener. Pragmatischer. Weniger ideologisch geladen. Und g'höriger. Mir versuachen zumindescht, so zum sii, des loss’ ma üs net nia (Wir versuchen zumindest, so zu sein, das lassen wir uns nicht nehmen). Harrgottzack!

Greber

Disclaimer

Dieses nicht immer ganz bierernst gemeinte Essay erschien im August 2014 in der „Presse am Sonntag“ bzw. auf diepresse.com und wurde anlässlich der heurigen Landtagswahl leicht modifiziert und aktualisiert.

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