Wort der Woche

Altlasten, die giftigen Relikte unserer Vorfahren

In Österreich gibt es mehr als 2000 giftige Relikte unserer Vorfahren, die völlig sorglos mit Chemikalien hantierten. Es kostet Milliarden, diese Fehler wieder auszubügeln.

Im Lauf unseres Lebens kommen wir mit bis zu 70.000 chemischen Produkten in Kontakt. Von dieser unglaublichen Zahl sind rund 22.000 Substanzen im europäischen Chemikalienregister Reach erfasst, und 85 Prozent von ihnen harren noch einer genauen Überprüfung, ob sie für die Umwelt oder den Menschen gefährlich sind. Bei vielen Stoffen weiß man dies bereits, sie sind längst verboten. Dennoch finden sie sich weiterhin in unserer Umgebung – und zwar in Form von Altlasten aus Zeiten, in denen man mit Chemikalien völlig sorg- und verantwortungslos umging.

Im „Zwölften Umweltkontrollbericht“, den das Umweltbundesamt diese Woche veröffentlicht hat (www.uba.at), finden sich dazu erschreckende Zahlen: Demnach gibt es in Österreich geschätzte 71.650 Standorte von Anlagen, in denen früher mit umweltgefährdenden Stoffen hantiert wurde. Davon werden 2050 Standorte offiziell als „Altlasten“ eingestuft, von denen tatsächlich eine Gefahr ausgeht – und die mit immensem Aufwand gesichert und saniert werden müssen.

Ein Blick in das öffentlich zugängliche Altlastenportal (www.altlasten.gv.at) ist gleichzeitig eine Reise durch Österreichs Wirtschaftsgeschichte: Neben vielen ehemaligen Mülldeponien und Putzereien findet sich z. B. unter der Nummer N85 die Klederinger Mineralölraffinerie (1905–1956) mit massiven Säureteerablagerungen. W23 steht für die 1973 geschlossene Borfabrik Gotramgasse, die bis heute das Grundwasser mit Bor und Arsen verunreinigt. Der Boden unter der Metallwarenfabrik Wallpach (S16) in Golling ist mit hochgiftigen Lösungsmitteln verseucht, jener der Lederfabrik Schmidt (ST30; 1874–1982) in Leibnitz mit Chrom. Manche Probleme sind noch viel älter: Im Pochergraben Schwaz (T17) liegen Reste des Silberbergbaus aus dem 16. Jahrhundert mit hohem Schwermetallgehalt (Arsen, Quecksilber, Cadmium usw.).

Bisher wurden für die Sanierung von 224 Altlasten 1,17 Mrd. Euro an öffentlichen Mitteln ausgegeben; die Kosten für die Sanierung aller Altlasten werden auf fünf Mrd. Euro geschätzt. Mit der bloßen Sanierung ist es allerdings nicht getan. Da sich die meisten ehemals belasteten Standorte in besten Lagen befinden, wäre es sehr sinnvoll, sie wieder zu nutzen. Doch hier hapert es gewaltig. „Ohne gezielte Maßnahmen bleibt das potenzielle Flächenangebot in der Größenordnung von rund 20.000 Hektar ungenutzt“, heißt es im „Umweltkontrollbericht“. Zum Vergleich: Das ist das Fünffache der Fläche, die in Österreich jedes Jahr zugebaut wird.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Chefredakteur des „Universum Magazins“.

meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2019)

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