Militärintervention

Der Konflikt in Nordsyrien eskaliert

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Präsident Assad schickt Truppen in die umkämpfte Region. Die Türkei fordert Unterstützung von EU und Nato, muss stattdessen aber mit Sanktionen rechnen.

Als Reaktion auf die türkische Offensive in Nordsyrien will nun auch Syriens Präsident Baschar al-Assad Truppen in das Gebiet entsenden. Die Armee werde sich der türkischen „Aggression“ entgegenstellen, so die staatliche Nachrichtenagentur SANA am Sonntagabend. Details zur Mobilmachung wurden nicht genannt. Nach Angaben eines kurdischen Politikers fanden auf einem russischen Militärstützpunkt Gespräche zwischen Vertretern der von Kurdenmilizen angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und der syrischen Regierung statt.

Die USA wollen sich inzwischen noch weiter aus der Region zurückziehen. US-Präsident Donald Trump habe einen Rückzug von Streitkräften aus Nordsyrien angeordnet, sagte Verteidigungsminister Mark Esper am Sonntag im US-Fernsehen. Die Türkei wolle ihre Offensive „weiter südlich und weiter westlich fortsetzen“, sagte er CBS. Die USA hätten nicht genug Soldaten, um den Vormarsch zu stoppen. Sie müssten daher aus der Schusslinie genommen werden.

Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderten die Türkei auf, die Militäroffensive zu beenden. Die humanitären Folgen seien „gravierend“, so Merkel am Sonntagabend vor einem Arbeitsessen mit Macron in Paris. Beide Staaten wollen ihre Rüstungsexporte an die Türkei einschränken.
Zuvor war Recep Tayyip Erdoğan der Kragen geplatzt. „Sind wir jetzt Nato-Partner oder nicht?“, habe er Merkel gefragt, berichtete der türkische Präsident in einer Rede. „Steht ihr auf unserer Seite oder auf der Seite der Terroristen?“

Knapp eine Woche nach Beginn ihrer Militärintervention wehrt sich die Türkei gegen ihre internationale Isolierung. Erdoğan forderte Solidarität von den westlichen Verbündeten. Beim Syrien-Einsatz gehe es um das Überleben der Türkei.

Das sehen viele westliche und arabische Staaten ganz anders. Die EU-Außenminister beraten am Montag über ein Waffenembargo gegen die Türkei und einige Tage später bei einem Gipfel über Sanktionen gegen Ankara. Die USA denken über Strafmaßnahmen nach. Mehrere Nato-Staaten haben ihre Waffenexporte in die Türkei gestoppt. Die Arabische Liga wirft Ankara die „Invasion“ eines arabischen Landes vor.
Nach einer Zählung der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bisher über 200 Menschen getötet, darunter mehr als 50 Zivilisten. Die Vereinten Nationen teilten mit, rund 130.000 Menschen seien auf der Flucht. Erdoğan warf der syrischen Kurdenmiliz YPG vor, mehr als 650 Geschosse auf Wohngebiete hinter der türkischen Grenze abgeschossen zu haben; mindestens 18 Menschen starben dabei. Die von der YPG dominierten Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF) sprachen wiederum von 45 getöteten Zivilisten auf syrischer Seite. Unter den Toten ist offenbar auch die kurdische Politikerin und Frauenrechtlerin Havrin Chalaf. Sie war auf einer Landstraße in einen Hinterhalt geraten. CNN Türk berichtete, türkische Truppen suchten nach Verstecken kurdischer Kämpfer.

Die Türkei will ihre Soldaten bis zu 35 Kilometer tief auf syrisches Gebiet schicken. Erdoğan sagte, seine Armee gehe langsam voran, um Verluste zu minimieren. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle konnte die YPG einen Erfolg feiern und die Grenzstadt Ras al-Ayn zurückerobern, nachdem sie bereits an die Angreifer gefallen war. Die türkische Armee wiederum vermeldete am Sonntag die Eroberung der Grenzstadt Tall Abyad.

Flucht aus IS-Internierungslager

Die Beobachtungsstelle berichtete, dass mindestens 100 Frauen und Kinder von IS-Kämpfern aus einem Internierungslager in Ayn Issa fliehen konnten – auf kurdischer Seite war von fast 800 Geflohenen die Rede. Merkel und Macron befürchten, dass der türkische Einmarsch zu einem Wiedererstarken der Jihadisten führen könnte.

Der Vorstoß richtet sich gegen die Präsenz der YPG an der türkischen Südgrenze. Die Kurdenmiliz ist der syrische Verband der kurdischen Terrororganisation PKK und wird deshalb von der Türkei als Bedrohung ihrer nationalen Sicherheit bekämpft. Da die YPG aber gleichzeitig ein Partner der USA im Kampf gegen den IS ist, gibt es erhebliche Spannungen zwischen Ankara und Washington. Der Angriff soll auch die Grundlage für eine „Sicherheitszone“ in Nordsyrien schaffen, in die Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei umgesiedelt werden sollen. Mit dem Plan reagiert Erdoğan auf den wachsenden Unmut türkischer Wähler angesichts von 3,6 Millionen syrischer Flüchtlinge im Land.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2019)

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