Deutscher Buchpreis

Saša Stanišić: Preis für eine sachte Spurensuche

Deutscher Buchpreis 2019.
Deutscher Buchpreis 2019.APA/dpa/Andreas Arnold
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Saša Stanišić bekommt für sein so intimes wie politisches Werk „Herkunft“ den Deutschen Buchpreis – und rechnet in seiner Dankesrede mit Peter Handke ab.

Die Wut war zu spüren. Die Wut und auch die Enttäuschung über die Entscheidung der Nobelpreis-Jury: Saša Stanišić nannte Handke auf Twitter einen Genozid-Relativierer, bei seiner Dankesrede zur Verleihung des Deutschen Buchpreises legte der Schriftsteller am Montagabend nach: „Mich erschüttert, das so was prämiert wird“, es habe ihm die Freude am eigenen Preis „ein bisschen vermiest“. Handke habe sich die Wirklichkeit so zurechtgelegt, dass „dort nur noch Lüge besteht. Das soll Literatur eigentlich nicht.“

Stanišić ist im bosnischen Višegrad geboren und aufgewachsen, seine Mutter ist Bosniakin, sein Vater Serbe. Als er vierzehn Jahre alt war, musste seine Familie nach der Besetzung der Stadt nach Heidelberg fliehen. In „Herkunft“ (360 Seiten, Luchterhand-Verlag) erzählt er von seiner Kindheit und Jugend, vom Leben seiner Vorfahren. Vom Bergdorf, in dem sein Großvater aufwuchs, der Oma, die stets vor dem Buben wusste, wann diesem kalt werden würde und dann verlässlich mit einem Strickjäckchen zur Stelle war, von Mutter und Vater, die am Vorabend des Bürgerkriegs tanzten.

Die jugoslawische Erde

Aber er berichtet eben auch von aufbrandendem Nationalismus und Hass, von der Todesgefahr, in der seine Mutter schwebte, und von Menschen, die ihre Heimat verloren. Denn ihre Heimat war Jugoslawien: „Sie ließen sich in Jugoslawien am Blinddarm operieren, kauften ein jugoslawisches Auto, machten Schulden oder beglichen sie, standen Krisen und Glück durch, und manche haben den Blinddarm noch. Das Einzige, was sie in Jugoslawien nicht mehr können, ist sterben. Der Erde ist es egal, ihnen nicht.“

Es ist eine vorsichtige Spurensuche. So etwas wie Identität hat er dabei nicht gefunden, sagt Stanišić selbst. Aber viele Geschichten, die ihn und seine Eltern prägten, Erinnerungen, private wie politische, Privat-Politisches, Politisch-Privates.

Deutscher Buchpreis 2019
Deutscher Buchpreis 2019APA/zb/Jens Büttner



1991 luden etwa er und seine Pionier-Freunde zu einer Show für den Frieden, sie schmückten die Tische mit dem roten Stern, sangen Partisanenlieder und amerikanische Popsongs. „Ich agitierte zu der Zeit auch um ein Mädchen und hatte Erfolg. Sie tanze mit mir, und alles fühlte sich unfassbar gut und richtig an. Dann tanzte das Mädchen mit einem anderen Saša, was sich unfassbar schlecht und falsch anfühlte (. . .) Ziemlich genau ein Jahr nach unserer Show wird ein serbischer Soldat in der Wohnung meiner Großmutter Kristina nach meiner Mutter suchen. Er wird alle Türen öffnen und sogar nachschauen, dass sie nicht am Balkon hängt.“ Und er wird die Großmutter fragen, wie sie zulassen konnte, dass ihr Sohn eine „Türkin“ heiratet.

Wovon Peter Handke schrieb, Saša Stanišić hat es erlebt, und er erzählt davon, sachte und genau. Dass er jetzt den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis erhält, ist aber keine politische Entscheidung, und sie hat nichts mit dem Nobelpreis zu tun. Vermutlich stand sie schon lange vorher fest. „Herkunft“ ist schlicht das poetischste, eindringlichste, zugleich intimste wie politischste deutschsprachige Buch dieses Jahres.

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