Gastkommentar

Bei E-Mobilität geht der Verstand flöten

Wenn das Recht der Technik nicht folgen kann – oder warum sich das Chaos im öffentlichen Raum ausbreitet.

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Wenn das Recht der technischen Entwicklung nicht mehr folgen kann, wie das seit einigen Jahren im Straßenverkehr der Fall ist, darf man sich nicht wundern, wenn sich im öffentlichen Raum das Chaos ausbreitet. In Großstädten ist es schon so weit, und in absehbarer Zeit wird sich die Willkür auch auf den Rest des Landes ausbreiten. Es begann mit den Elektrofahrrädern, und noch bevor die Verkehrspolitik begriffen hatte, wie damit umzugehen sei, brach die Welle der E-Scooter in den öffentlichen Raum ein, ohne dass dieser dafür geeignet war. Die Behörden versagten, insbesondere das zuständige Ministerium für Verkehr, Innovation und Technologie einschließlich des Ministers.

Städte und Gemeinden waren überfordert und versuchten durch Befragungen über Mehrheitsmeinung Lösungen zu finden. Dabei geht es nicht um Meinungsethik, sondern um Rechtssicherheit und Verantwortung. Das mühsam aufgebaute Ordnungssystem gegen die Willkür der Schnellen und Stärkeren wurde schon mit den Elektroautos durchlöchert, indem man ihnen die Mitbenutzung der Busspuren, reservierte kostenlose Parkplätze und andere Privilegien einräumte. Der Grund für Sonderspuren für den öffentlichen Verkehr liegt in seiner um Zehnerpotenzen höheren Flächeneffizienz gegenüber dem Auto, egal welcher Antriebsenergie. Wenn es um E-Mobilität geht, scheint der Verstand ausgeschaltet zu werden.

Noch absurder ist der Umgang mit elektrifizierten Zweirädern. Das Kraftfahrgesetz wird einfach außer Kraft gesetzt – und man weiß nicht weiter. Wird ein Kraftfahrzeug rechtlich nicht als Kraftfahrzeug behandelt, erzeugt dies Probleme verschiedenster Art, von der Unfallhäufung bis zur Erhöhung der Schwere der Unfälle. Im Kraftfahrgesetz (KFG) sind die grundlegenden Bestimmungen über die technischen Eigenschaften der Fahrzeuge, ihre Genehmigung und ihre Zulassung zum Verkehr festgelegt: „1) Im Sinn dieses Bundesgesetzes gilt als Kraftfahrzeug ein zur Verwendung auf Straßen bestimmtes oder auf Straßen verwendetes Fahrzeug, das durch technisch freigemachte Energie angetrieben wird und nicht an Gleise gebunden ist“ und weiter: „2) Von der Anwendung [. . .] sind ausgenommen: Kraftfahrzeuge mit einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als zehn km/h und mit solchen Kraftfahrzeugen gezogene Anhänger . . .“

E-Zweiräder sind Kfz

Rechtlich eigentlich eine klare Sache: E-Zweiräder haben einen Motor und werden durch „technisch freigemachte Energie angetrieben“, sind daher lauf KFG Kraftfahrzeuge. Die Bauartgeschwindigkeit ist noch zu klären: Bei den E-Bikes liegt diese weit über zehn km/h, und die Messungen der Geschwindigkeiten von E-Scootern beweisen, dass sie diesen Wert locker überschreiten. In den Angaben einzelner Hersteller findet man Werte bis zu 35 km/h. Beide Arten der E-Zweiräder sind nach geltendem Recht also Kraftfahrzeuge und daher als solche zu behandeln. Die vorherige StVO-Novelle und die letzte vom 1. Juni 2019 eröffnen mit der Befreiung von Versicherung und Kennzeichenpflicht bis 25 km/h und 600 Watt eine breites Risikofeld mit kaum wirksamer Kontrolle. Wer haftet bei Unfällen, die sich häufen?

Noch eine Anmerkung zum Fahrrad: Der Radverkehr bewegt sich in „reifen Fahrradgesellschaften“ mit Geschwindigkeiten von rund zwölf bis 15 km/h. E-Zweiräder sind meist schneller, weil zu den 100 Watt Leistung des Menschen der Motor die dreifache Leistung und mehr hinzufügt, und das bei einem Mehrgewicht von sieben bis neun Kilogramm. Trotz aller Liebe zum Zweirad: Ideologie kann die Gesetze der Physik nicht aushebeln und auch nicht die Verantwortung des Gesetzgebers und der Exekutive.

Hermann Knoflacher (* 1940) ist Verkehrswissenschaftler und als Berater tätig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2019)

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