Kriminalfall

Wer ist „Josef, der Österreicher“?

Was geschah auf diesem abgelegenen Bauernhof nahe dem Dorf Ruinerwold?
Was geschah auf diesem abgelegenen Bauernhof nahe dem Dorf Ruinerwold?REUTERS
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Sechs Personen wurden in einem abgeschiedenen Bauernhof in den Niederlanden offenbar gefangen gehalten. Ein Österreicher steht im Zentrum der Ermittlungen. Was ist über diesen mysteriösen Fall bekannt?

1. Was ist auf dem abgelegenen Bauernhof in der niederländischen Provinz Drenthe passiert?

Ein junger, verwahrlost wirkender Mann namens Jan, mit langen Haaren und Bart, tauchte am Sonntag in einem Lokal im 4000-Einwohner-Ort Ruinerwold auf, bestellte Bier und erzählte dem Wirt, dass er jahrelang keine Kontakt zur Außenwelt gehabt habe. Der Wirt brachte den Fall ins Rollen und verständigte die Polizei.

In dem abgeschiedenen Bauernhof wurde eine Gruppe Menschen entdeckt: fünf Jugendliche bzw. junge Erwachsene im Alter zwischen 18 und 25 Jahren sowie ihr bettlägriger Vater. Sie alle befanden sich laut Polizei in einem kleinen, versperrbaren Raum in der Wohnung. Zuerst hatte es geheißen, sie seien in einem Keller eingesperrt gewesen, was die Polizei später dementierte.

Der Mann namens Jan, offenbar der älteste Sohn der Familie, erzählte, neun Jahre lang isoliert gewesen zu sein. Er wollte scheinbar aus der Isolation ausbrechen.

Unklar ist, ob sich die Familie freiwillig dort aufgehalten hat, oder festgehalten oder eingesperrt wurde. Eine Sondergruppe mit 25 Polizeibeamten arbeitet nun an diesem Fall.

2. Welche Rolle spielt dabei der Österreicher Josef B.?

Der Mieter des Hauses ist laut Polizei der Österreicher Josef B. Er habe bei den Ermittlungen nicht kooperiert und sei daher festgenommen worden. Er wird der Freiheitsberaubung verdächtigt und bleibt weiter in Untersuchungshaft. Laut Außenministerium wünscht der Mann keinen Kontakt zur österreichischen Botschaft und keine konsularische Hilfe. Bei den Festgenommenen handelt es sich um einen Wiener, der 2010 aus dem Bezirk Perg in Oberösterreich in die Niederlande ausgewandert ist.

Vor neun Jahren dürfte er sich dann in Ruinerwold niedergelassen und in der Gegend auch als Tischler gearbeitet haben. Wie er die Familie kennengelernt hat und warum die fünf Kinder und der Vater in dem von ihm angemieteten Gebäude wohnten, ist unklar. Der Österreicher selbst ist jedenfalls nicht der Vater der Kinder und dürfte dort auch nicht ständig gelebt haben. Mit seinem Volvo kam er regelmäßig vorbei, um Reparaturarbeiten zu erledigen. Beim Eingangstor zum Bauernhof seien Videokameras angebracht gewesen. Nachbarn beschreiben ihn als kurz angebunden, manchmal unfreundlich, aber nicht sonderlich auffällig. Die Miete zahlte er immer pünktlich, sagt die Besitzerin des Bauernhofs.

3. Wie konnten die Gruppe so lange unentdeckt bleiben?

Die Dorfbewohner von Ruinerwold reagierten geschockt auf den Fall: Man habe nichts bemerkt, man habe gar nicht gewusst, dass der Bauernhof von so vielen Menschen bewohnt gewesen wäre. Keiner der sechs Personen dürfte dort gemeldet gewesen sein. Waren die Jugendlichen wirklich neun Jahre lang von der Außenwelt abgeschnitten, stellt sich die Frage, warum etwa die Schulbehörden nicht aufmerksam wurden. Die Mutter dürfte 2004 verstorben und der Vater seit längerem bettlägrig sein. Die Familie dürfte sich autark ernährt haben, es gibt einen großen Gemüsegarten. Der junge Mann namens Jan, der am Dienstag in dem Café auftauchte, soll aber seit Juni aktiv auf sozialen Netzwerken wie Facebook Fotos gepostet haben.

4. War die isolierte Gruppe in dem Bauernhof eine Sekte?

Die Familie soll auf „das Ende der Zeiten“ gewartet haben, hieß es in ersten Meldungen. Allerdings bestätigte die Polizei das nicht. Josef, der Österreicher, wie niederländische Medien ihn nennen, hat in jungen Jahren in seinem Heimatbezirk Perg einer Sekte angehört, schreibt die APA. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2019)

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