Morgenglosse

Macron, der entzauberte Europäer

Ob bei Erweiterung, Außenpolitik oder Personalfragen: Der französische Präsident fällt zusehends mit Eigenbrötlerei auf. Der Nimbus des europäischen Erneuerers verblasst.

„Ich bin gekommen, um zu Ihnen über Europa zu sprechen": so begann Emmanuel Macron am 26. September 2017 seine Grundsatzrede an der Universität Sorbonne in Paris. Vielerorts auf dem Kontinent erwuchs kraft dieses schönen, visionären, ehrgeizigen Textes die Hoffnung, der junge Präsident der Republik werde Europa neuen Esprit einhauchen.

Zwei Jahre später ist von dieser Strahlkraft wenig übrig. Macrons große Vorhaben sind fast durchwegs stecken geblieben: man denke nur an das Eurozonenbudget. Stattdessen macht er sich mit einem eigenartigen Starrsinn mehr und mehr Gegner. In Libyen ringt er mit Italien um die Vormachtstellung. Mit seinem Nein zur Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien beschwört er einen möglichen Streit beim EU-Gipfeltreffen heute, Donnerstag, herbei. Und mit der Entscheidung, die mehrere berufsethische Grenzfälle mitschleppende Sylvie Goulard als EU-Kommissarin zu nominieren, hat er ihre klare Ablehnung im Europaparlament geradezu provoziert.

„Ich muss das jetzt erst verstehen“, sagte Macron vorigen Donnerstag nach dem endgültigen Votum gegen Goulard. So geht es wohl auch vielen seiner ursprünglichen Anhänger jenseits von Frankreichs Grenzen. Klar ist zumindest eines: Macrons Vorstellung, er könne die zweifellos verkrustete politische Parteienlandschaft auf europäischer Ebene gleichermaßen spielerisch pulverisieren und sich zum klaren Anführer der progressiven Mitte aufschwingen, wie ihm das zu Hause gelungen ist, hat den Erstkontakt mit der politischen Realität nicht überstanden.

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