Brexit

EU und London einigen sich auf Brexit-Deal – Labour, Schotten und DUP lehnen ab

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Von einem „großartigen Deal“ spricht der britische Premier Boris Johnson, EU-Kommissionspräsident Juncker bezeichnet die Vereinbarung als „fair“. Doch im Parlament formiert sich Widerstand.

Nach langem Tauziehen haben sich Großbritannien und die EU auf einen neuen Brexit-Vertrag verständigt. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und der britische Premierminister Boris Johnson gaben die Einigung am Donnerstag in Brüssel bekannt. Johnson sprach von einem „großartigen Deal“. Juncker bezeichnete die Vereinbarung als fair und ausbalanciert. Er empfahl, dass der Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs dem Deal am Donnerstag zustimmen solle.

Das neu ausgehandelte Abkommen schaffe Rechtssicherheit, sagte der Brexit-Unterhändler der EU, Michel Barnier. Es werde eine Übergangsphase bis Ende 2020 geben. Eine harte Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland sei ausgeschlossen. Nordirland werde dazu begrenzt weiter EU-Regeln unterliegen und bilde das Eingangstor in den EU-Binnenmarkt. Die Provinz werde aber auch der britischen Zollhoheit unterliegen.

Damit sei ein faires Abkommen gefunden, um einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zu sichern. Zugleich sei der Weg geebnet für ein Handelsabkommen der EU mit Großbritannien, in dem es weder Zölle noch Quoten gebe, sagte Barnier.

APA/AFP/JOHN THYS

Corbyn fordert zweites Referendum

Zwar habe Johnson ihm versichert, dass er den Deal durch das britische Parlament bringen könne, sagte Barnier. Doch das scheint derzeit alles andere als gewiss: Damit das Abkommen in Kraft tritt und Großbritannien die EU wie geplant am 31. Oktober verlässt, muss das britische Unterhaus dem neuen Regelwerk zustimmen. Die Abstimmung ist für Samstag geplant. Es ist die erste außerordentliche Sitzung an einem Samstag seit 37 Jahren.

Doch Johnsons Konservative Partei hat keine eigene Mehrheit und ist auf die Stimmen anderer Fraktionen angewiesen. Und am Donnerstag entzogen drei der neun im Unterhaus vertretenen Parteien Johnson und seinem Deal die Unterstützung. Zuerst die nordirische DUP-Partei. Ihre zehn Abgeordneten hatten die konservative Minderheitsregierung im Unterhaus bislang unterstützt.

Später kritisierte Labour-Chef Jeremy Corbyn das Abkommen. Johnson habe einen noch schlechteren Deal ausgehandelt als seine Vorgängerin Theresa May. Es gefährde unter anderem die Sicherheit von Lebensmitteln, den Umweltschutz und die Rechte von Arbeitnehmern. Seine Partei könne den Deal daher nicht unterstützen. Erneut forderte er ein zweites Brexit-Referendum. Auch die schottische Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon sagte, ihre SNP-Partei der schottischen Nationalisten werde nicht für das Abkommen stimmen. Sie sprach sich erneut für ein zweites Unabhängigkeitsreferendum in Schottland aus.

Der britische Premier muss daher noch viel Überzeugungsarbeit bis Samstag leisten. Es gab Gerüchte, dass er die DUP mit einer kräftigen Finanzspritze zu einem Ja bewegen könnte. Außerdem könnten einige Labour-Abgeordnete gegen die Meinung ihres Parteichefs Corbyn stimmen. Auch die Oppositionspartei ist in ihrer Brexit-Linie gespalten.

APA/AFP/PAUL FAITH

Johnson will keinen Aufschub zulassen

Lehnt das Parlament den Deal ab, ist das weitere Vorgehen noch ungewiss (zur Grafik). Mehrmals schon hatten die Abgeordneten ein Abkommen mit der EU durchfallen lassen. Auch bei dem von Johnsons Amtsvorgängerin Theresa May getroffenen Deal mit der EU war die Regelung für die innerirische Grenze der größte Knackpunkt: Diesem Vorschlag zufolge wäre die britische Provinz auf unbestimmte Zeit Teil des EU-Binnenmarktes geblieben.

Eine Sprecherin Johnsons betonte nun, diese umstrittene Backstop-Regelung sei jetzt vom Tisch. Nach der neuen Regelung soll das nordirische Parlament alle vier Jahre darüber abstimmen, ob die bestehende Regelung aufrechterhalten wird. Sollte das Parlament die Vereinbarung kippen, gäbe es eine zweijährige Übergangsfrist, in der die EU Maßnahmen zum Schutz des Binnenmarktes treffen könne, sagte Barnier.

Johnson hatte wiederholt angekündigt, sein Land zum 31. Oktober aus der EU zu führen - notfalls auch ohne Abkommen. Das machte er auch am Donnerstag einmal mehr klar: Der Premierminister wird den Staats- und Regierungschefs sagen: Dieser Deal oder kein Deal - aber keinen Aufschub", hieß es. Insbesondere die Wirtschaft fürchtet heftige Verwerfungen, käme es zu einem ungeregelten EU-Austritt.

Um diese Drohung wahr zu machen, müsste Johnson allerdings das Gesetz gegen einen No-Deal-Brexit brechen, das vom Parlament im vergangenen September verabschiedet wurde. Es schreibt vor, dass der Regierungschef einen Antrag auf Verlängerung der Brexit-Frist stellen muss, wenn bis Samstag kein Abkommen vom Unterhaus abgesegnet wurde. Der Streit dürfte schnell vor Gericht landen.

>>> Link zum 64-seitigen Abkommen.

(Reuters/APA/red.)

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