Mit dem Deal zum Austritt Großbritanniens aus der EU hat der britische Premier sein politisches Ausnahmetalent bewiesen. Doch der brillante Taktiker verfügt über keine langfristige Strategie.
„Meine Prinzipien sind felsenfest. Und wenn sie Ihnen nicht passen, dann habe ich auch noch andere.“ Diese Pointe aus der Feder der Marx Brothers wurde immer wieder bemüht, wenn es darum ging, die Person Boris Johnson zu beschreiben. Der Premier Großbritanniens wird von seinen Kritikern als flatterhafter, notorisch unzuverlässiger Opportunist abgestempelt. Doch eines können selbst seine eingefleischten Gegner nicht leugnen: Johnson ist ein begnadeter, leidenschaftlich Gestalter der Politik – ein Political Animal, wie es auf Englisch (in Anlehnung an Aristoteles' Definition des Menschen als politisches Wesen) heißt. Mit dem Brexit-Deal hat er sein Geschick eindrucksvoll zur Schau gestellt. Und sollte es ihm am Samstag gelingen, diesen Deal durch das Abgeordnetenhaus zu bugsieren, in dem seine Regierung über keine Mehrheit verfügt, ist ihm ein Platz in den Annalen der britischen Politik sicher.
Johnson hatte von Anfang an mit zwei – scheinbar unüberwindbaren – Fronten des Widerstands zu tun: auf der einen Seite mit der EU, die sich von seiner Vorgängerin Theresa May schriftlich zusichern ließ, das im November 2018 vereinbarte Austrittsabkommen werde nicht aufgeschnürt. Und auf der anderen Seite mit den Brexit-Ultras in seiner Partei, für die Zugeständnisse an Brüssel dem Hochverrat gleichkamen. In einer regelrechten Tour de Force hat der Premier beide Hindernisse überwunden. Er brachte die EU dazu, ihren Brexit-Deal wieder aufzuschnüren. Und er neutralisierte damit den Widerstand der Hardliner, die nun von den Vorzügen eines Abkommens schwärmen, das sie noch vor Kurzem in der Luft zerrissen hätten.