In den Provinzen Gansu, Shaanxi und vor allem Sichuan leben knapp 1900 Tiere, 17 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren.
Sichuan

Chengdu: Im Land der Pandabären

In der Provinz Sichuan an der Grenze zu Tibet leben zahlreiche der seltenen Pandabären. Wer die Tiere beobachten will, kommt ihnen in der Hauptstadt, Chengdu, nahe und kann märchenhafte Seenlandschaften bestaunen.

Wen Wen sitzt breitbeinig auf einem Bambuspodest und schmatzt. Auf seinem flauschigen Bauch liegt ein Haufen Bambusschösslinge. Der junge Pandabär, der mit runder Statur und schwarz umrandeten Knopfaugen etwas Kuscheltierartiges hat, wühlt mit seinen Pfoten durch die Sprossen. Er greift sich eine heraus, zieht deren äußere Schale mit den Zähnen ab und lässt diese gelangweilt zurück auf den Haufen fallen. Dann lehnt er sich zurück, streckt die Beine von sich und beißt genüsslich in den Trieb. Die Touristen, die die Szene in Chengdus Research Base of Giant Panda Breeding verfolgen, schmunzeln. Schließlich kommen sie diesen herzig anzuschauenden Tieren nirgendwo so nahe wie hier.

Chengdu ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan. Mit 82 Millionen Einwohnern, so viele wie Deutschland, ist die Provinz im Westen Chinas gut ein Drittel größer als die Bundesrepublik. Atemberaubende Landschaften und eine fantastische Tierwelt sind hier genauso zu finden wie spannende Traditionen und moderne Städte. Allen voran die 14-Millionen-Metropole Chengdu. Die Stadt ist berühmt für den Konsumkomplex New Century Global, der als größtes Gebäude der Erde gilt, und die Forschungsstation zur Aufzucht des Großen Pandas, den weltweit größten Öko-Park für Pandabären. Gut 180 Riesenpandas, davon mehr als elf Neugeborene in den vergangenen beiden Jahren, wilde Bambuswälder und Höhlen, die den Tieren ein Leben wie in freier Natur ermöglichen, sowie Bruträume, in denen man den nackten Nachwuchs beobachten kann, locken jedes Jahr rund 3,5 Millionen Besucher. Darunter auch Stars wie Plácido Domingo oder Jackie Chan. Sie kommen, um die eineinhalb Meter großen Hundert-Kilo-Kolosse beim Spiel und Fressen zu beobachten. Und das ohne Eile. Denn der Große Panda frisst bis zu 19 Stunden am Tag und verdrückt dabei rund 40 Kilo Bambus.

(c) REUTERS (China Daily CDIC)

Fortpflanzungsfaule Pandas

In China ist der Panda ein Nationalsymbol, die Volksrepublik das einzige Land auf der Welt, in dem das Tier noch in freier Wildbahn existiert. Als die Regierung vor 25 Jahren ein Schutzprogramm für den gefährdeten Großen Panda auflegte, entstanden rund 40 Reservate auf mehr als 10.000 Quadratkilometern. Subtropische Berghänge mit dichtem Bambuswald wurden ausgewählt, feuchtes, niederschlagsreiches Klima. So mögen es die schwarz-weißen Bären am liebsten. Infrage kamen nur die westlichen Provinzen Gansu, Shaanxi und vor allem Sichuan. Heute leben dort knapp 1900 Tiere, 17 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Das ergab der aktuelle Panda-Zensus. Eine vielversprechende Entwicklung, gelten die Pandas doch als eher fortpflanzungsfaul. Ob die Anzahl aber ausreicht, um die Art vor dem Aussterben zu bewahren, darüber streiten die Experten. Im Research Base of Giant Panda Breeding hilft man deshalb nach. „Wir haben unseren Tieren Pandapornos gezeigt, um sie zur Zeugung anzuregen“, sagt Direktor Zhang Zhihe. „Außerdem werden wir unsere Anlage vergrößern, um die Tiere künftig besser auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten“, ergänzt er stolz.

Im Norden der Provinz Sichuan liegt eine der Regionen, in denen Pandas geschützt in Freiheit leben. In den Min-Bergen des Autonomen Bezirks Ngawa der Tibeter und Qiang erstreckt sich der Jiuzhaigou-Nationalpark auf 720 Quadratkilometern. Hier, wo das Qinghai-Tibet- und das Jangtse-Hochplateau aufeinandertreffen, hat die Natur im Lauf von Jahrtausenden eine Märchenlandschaft erschaffen. Spektakuläre Berge ragen aus schattigem Bergnadelwald in den Himmel. Wasserfälle und Kalkterrassen schmiegen sich in den Urwald. Verwunschene Seenlandschaften prahlen mit klarem Wasser, das so türkisfarben leuchtet, als hätte jemand Farbe hineingekippt. Tatsächlich sorgen Kalk und Algen für die außergewöhnlichen Farbnuancen in den zwei Dutzend Seen, die über hölzerne Wanderwege miteinander verbunden sind.

(c) REUTERS (China Stringer Network)

Schon vor 35 Jahren erkannte die chinesische Regierung die Bedeutung dieses Naturwunders und stellte das Gebiet unter Schutz, auch um eine weitere Abholzung zu vermeiden. Heute ist das Unesco-Weltnaturerbe Jiuzhaigou, was übersetzt Neun-Dörfer-Tal heißt, ein Highlight der Provinz Sichuan, das stets den Launen der Natur unterworfen ist. In jüngerer Vergangenheit setzte starker Regen den Park unter Wasser, zuvor erschütterte ein Erdbeben das Zentrum des Nationalparks, tötete Menschen und riss eine Erdspalte in den Sparkling Lake, sodass sein türkisfarbenes Wasser auslief. Doch die chinesischen Verantwortlichen und die rund 1000 Tibeter in den sieben verbliebenen Parkdörfern sind regen- und erdbebenerprobt. Bereits zehn Jahre zuvor haben sie umfangreiche Reparaturarbeiten geleistet.

Tibetische Köstlichkeiten

An der Wiederherstellung als Besuchermagnet wurde gearbeitet, altbewährte Attraktionen inklusive. Wie den Fünf-Farben-See. Das nur fünf Meter tiefe Gewässer wirkt mit seinem türkisfarbenen Wasser und grün bewachsenen Bäumen auf dem Grund nachgerade mystisch. Der 21 Meter hohe Perlenschar-Wasserfall ergießt sich auf 270 Metern Breite. Auch der Pfeilbambus-See wird seinem Namen nach wie vor alle Ehre machen und den Ufervorhang aus Pfeilbambus – einem wichtigen Bestandteil der Panda-Diät – lüften, um den Blick auf das 20 Fußballfelder große Aquamarinwasser freizugeben.

„Im neuen Jiuzhaigou-Nationalpark werden wir unsere Panda-Souvenirs verkaufen und für die Touristen tibetische Köstlichkeiten kochen. Schließlich leben wir seit Jahren davon, seit die Landwirtschaft im Park verboten wurde und wir keine Yakhirten mehr sind“, sagt Lin, eine der tibetischen Dorfbewohnerinnen. Längst schon haben sich die hier lebenden Einwohner auf den Tourismus eingestellt. Man wird an den Eintrittserlösen beteiligt und hat das Monopol auf Geschäfte im Park. „Einige meiner Landsleute lassen während der Saison sogar Chinesen von außerhalb einen Laden oder einen Imbiss in ihrem Haus betreiben“, ergänzt Lin – ein Geschäftsmodell, das in den autonomen Regionen im Provinzwesten noch fremd ist.

Jiuzhaigou-Nationalpark
Jiuzhaigou-Nationalpark(c) REUTERS (Thomas Peter)

Der Westen Sichuans war schon immer das Tor nach Tibet, die Bezirksstadt Kangding eine historische Grenze. Hier, wo der Zheduo-Fluss durch das Zentrum tost und eine Seilbahn gemütlich auf den hohen, spirituellen Paoma-Berg gondelt, handelten die Chinesen jahrhundertelang mit gepressten Teeziegeln und tauschten sie gegen tibetische Wolle. Heute treffen sich die Einwohner morgens auf dem Peoples Square zu Tai Chi, tanzen dort abends zu Livemusik. Sie drehen goldfarbene Gebetsmühlen, die so groß sind wie Litfaßsäulen, und beten gemeinsam mit rot gewandeten Mönchen in einem buddhistischen Kloster aus dem 17. Jahrhundert.

Tibet wie im Bilderbuch

Zwischen schneebedeckten Bergen und über den Zheduo-Pass geht es immer tiefer ins einstige Tibet. Am Tagong-Kloster bewundern Chinesen und Tibeter die tausendarmige Chenrezig, die Göttin der Barmherzigkeit, und eine Replik des Sakyamuni-Buddha aus dem Jokhang-Tempel in Lhasa. Im Danba-Tal zeigt sich dann ein Tibet wie aus dem Bilderbuch: Hunderte bunte Häuser, Apfel- und Walnusshaine auf Terrassen der steilen Berghänge. Vor 15 Jahren waren die isolierten Dörfer noch vom Tourismus unberührt, die meisten Tibeter Kleinbauern. Heute vermieten sie Zimmer und nehmen Eintritt für den Dorfbesuch. Der Atmosphäre tut das keinen Abbruch, entführen die zweistöckigen, rot-weißen Steinhäuser mit ihren bunt verzierten Fenstern und Türen doch in eine andere Welt. Kein Auto weit und breit. Stille. Nur der Fluss im Tal rauscht vor sich hin. Im 150-Seelen-Dorf Jiaju hocken alte Frauen auf den Flachdächern und ziehen Chilis auf Schnüre oder breiten Mais zum Trocknen aus. In Suopo ragen schmale Türme aus fast allen Häusern 30 Meter in den Himmel. „Ob es sich bei den tausendjährigen Relikten um ehemalige Wachtürme handelt oder um Schlote zur Dämonenvertreibung weiß niemand mehr so genau“, sagt Dorfbewohnerin Tsering und blickt auf das Foto eines Pandabären in ihrem Hauptraum. Der ist in tibetischen Häusern Wohn-, Schlaf- und Esszimmer in einem, während im Erdgeschoß darunter die Yaks um die Wette schnaufen.

VON CHINA NACH TIBET HINEIN

Anreise: Zum Beispiel mit KLM ab Wien über Amsterdam nach Chengdu (klm.de).

Unterkunft: Celebrity Ruicheng Hotel, moderne Businesszimmer mit englischsprachigem Service im Zentrum von Chengdu, ruichenghotelchengdu.com. Hilton Jiuzhaigou Resort, klassisch-moderne Zimmer nahe dem Nationalpark, hilton.com Kangding City Walk He Mayflower Hotel, hübsche, moderne Zimmer nördlich der Stadt, East Street 69, booking.com Herui Buke Yard Inn, tibetisch-chinesische Gemütlichkeit im Danba-Tal, Buke Village.

Veranstalter: Gebeco, Wikinger Reisen, Ikarus Tours, Tischler Reisen. (tischler-reisen.de).

Auskünfte: Fremdenverkehrsamt der Volksrepublik China in Deutschland, china-tourism.de

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2019)

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