Biodiversität

Eine U-Bahnfahrt durch das Blumenmeer

Wird die Wiener U-Bahn an den Rändern der Stadt zum Vorstadtzug, findet man entlang ihrer Gleise auch jede Menge Grünflächen.
Wird die Wiener U-Bahn an den Rändern der Stadt zum Vorstadtzug, findet man entlang ihrer Gleise auch jede Menge Grünflächen. (c) Clemens Fabry
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Wird die Wiener U-Bahn an den Rändern der Stadt zum Vorstadtzug, findet man entlang ihrer Gleise auch jede Menge Grünflächen. 25 solcher Böschungen wurden an der Boku nun auf ihre Artenvielfalt hin untersucht.

Wenn Bärbel Pachinger langsam durch eine Blumenwiese schreitet, schaut sie in gleichmäßigen Abständen nach links und nach rechts – keine Bewegung im oder über dem hohen Gras entgeht ihrem Blick. Was wie eine Achtsamkeitsübung an einem Wiener Stadtwanderweg klingt, ist bei Pachinger strenge wissenschaftliche Methode: Die Forscherin und ihre Kollegen der Universität für Bodenkultur (Boku) erheben Pflanzentypen und zählen die Tagfalter-, Wildbienen- und Heuschreckenarten, die ihnen entlang ihres Weges begegnen. Das Team möchte erfahren, wie es um die Biodiversität auf Begleitböschungen der Verkehrsbetreiber steht.

Selten gemäht und artenreich

Nur wer die Wiener U-Bahn bis zur Endstation fährt, kennt sie vielleicht: die Blumenwiesen entlang der Bahntrasse. Sie könnten, so die Hypothese der Boku-Forscher, zu den vielfältigsten Grünflächen der Hauptstadt gehören. Denn im Gegensatz zu vielen Parkanlagen und Privatgärten ist die Pflege mancher Böschungen auf das Nötigste begrenzt. Wo nicht ständig gemäht und gejätet wird, lassen sich blütenreiche und anspruchsvolle Pflanzen nieder und bieten ihrerseits Lebensraum für Falter und Brummer. Doch längst nicht alle Flächen sind solche Insektenparadiese.

„Welche Tiere und Pflanzen wir beobachten, erzählt uns viel über die Qualität des Lebensraums“, so Pachinger, die das von den Wiener Linien finanzierte Forschungsprojekt leitet. „Jede Art hat spezielle Anforderungen an ihren Lebensraum. Während etwa einige Bienenarten ganz unterschiedlichen Blüten einen Besuch abstatten, füttern andere ihre Larven nur mit Pollen ausgewählter Pflanzenarten.“ Sind die meisten Tagfalter und Heuschrecken dank farbiger Flügel und akustischer Signale noch auf der Wiese zu erkennen, müssen Wildbienen auch einmal eingefangen werden, um sie zu bestimmen. Allein in Wien wurden über 450 Arten von ihnen gezählt.

Einflussfaktor Mensch

Die Umweltforscher rund um Pachinger arbeiten am Institut für Integrative Naturschutzforschung der Boku. Tiere, Pflanzen und ihre Interaktionen mit sozioökonomischen Faktoren werden dort gemeinsam betrachtet. „Für viele Arten wird der Lebensraum immer kleiner“, so die Ökologin. Umso wichtiger sei es, beim Management von Grünflächen immer daran zu denken, dass auch Tiere und Pflanzen diese Flächen bewohnen. Aus den Beobachtungen, die im nächsten Sommer noch andauern, werden die Wissenschaftler einen Maßnahmenkatalog ableiten: Welche Pflege erhöht die Diversität der vorkommenden Tiere und Pflanzen? Dabei berücksichtigt das Team nicht nur wissenschaftliche, sondern auch praktische Aspekte: „Für die Wiener Linien muss es auch machbar sein.“

Durch das warme Stadtklima und so manche blütenreiche Fläche beherbergt Wien einige besondere Bienenarten. Trotzdem, glaubt Pachinger, sollte mehr getan werden: „Auch Gartenbesitzer können mit kleinen Maßnahmen dafür sorgen, dass sich die tierischen Mitbewohner dort wohler fühlen.“ Das Aussterben unscheinbarer Spezies könne Kaskaden negativer Folgen für ganze Ökosysteme nach sich ziehen – ein Bewusstsein für den Artenreichtum vor der Haustür sei deswegen angebracht. Für jene ohne Garten bleibt zumindest der Blick aus der U-Bahn.

IN ZAHLEN

456 Wildbienenarten wurden in Wien schon gesichtet. In ganz Österreich sind es fast 700. Der Osten des Landes ist aufgrund des Klimas im pannonischen Becken ein beliebter Wohnort für wärmeliebende Insekten.

5-7 Mal pro Jahr
durchschreiten die Boku-Forscherinnen und -Forscher jede Wiese entlang sogenannter Transekte und zählen die Arten, die in ihr Blickfeld geraten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2019)

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