Biotechnologie

Simulationen für das richtige Rühren

Besonders schwierig zu berechnen: die Luftblasen in einem Bioreaktor.
Besonders schwierig zu berechnen: die Luftblasen in einem Bioreaktor.TU Graz
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Die Herstellung von Biopharmazeutika mit lebenden Zellen erfordert perfekte Bedingungen im Bioreaktor. Grazer Forscher können sie mit speziellen Algorithmen berechnen.

Sie sind die Goldesel der Pharmaindustrie: Der Markt für Biopharmazeutika, also Wirkstoffe, die von gentechnisch veränderten Mikroorganismen wie Pilzen und Bakterien oder in Zellkulturen hergestellt werden, gehört zu den am schnellsten wachsenden Bereichen der Branche. Sieben der zehn weltweit umsatzstärksten Arzneimittel zählen bereits dazu, sagt Christian Witz vom Institut für Prozess- und Partikeltechnik der TU Graz – die meisten davon sind Krebstherapeutika.

Ihre Herstellung im großen Maßstab ist oft schwierig, die hochkomplexen Biomoleküle werden zum Teil von empfindlichen Zellen produziert, die an ihren Lebensraum hohe Ansprüche stellen. Ihnen zu genügen ist in Bioreaktoren, die so groß wie ein dreistöckiges Haus sein können, keine leichte Aufgabe, weiß Witz: „Das sind im Prinzip große Metallzylinder mit speziellen Rührern und Begasungsvorrichtungen, in denen die Zellen in einem Nährmedium schwimmen. Für optimale Lebensbedingungen brauchen wir unter anderem einen ganz bestimmten Temperaturbereich und Sauerstoffgehalt sowie ein perfekt abgestimmtes Nährstoffangebot.“

Algorithmen für die Strömung

Bis die idealen Bedingungen gefunden sind, die den Zellen nicht nur bestmögliches Wachstum bescheren, sondern auch eine größtmögliche Ausbeute des Wirkstoffs liefern, wird oft nach dem Trial-and-Error-Prinzip vorgegangen, es braucht also viele kostspielige und zeitaufwendige Versuche. Zwar arbeitet man bereits daran, die Prozesse in den Bioreaktoren mit Computerprogrammen zu simulieren, für eine routinemäßige Anwendung würden die sich bisher aber nicht eignen, sagt Witz – sie benötigen monatelange Berechnungszeiten und teure Großrechner mit vielen parallel arbeitenden Hauptprozessoren, sogenannten CPUs.

Der Forscher hat daher einen neuen Ansatz entworfen, mit dem sich die Rechenzeit von Monaten auf Stunden verkürzen soll. „Wir haben eine Methode entwickelt, mit der die Simulationen von Grafikkarten statt von CPUs berechnet werden können. Die haben 4000 bis 5000 Rechenkerne pro Karte, die alle einen gemeinsamen Speicherplatz verwenden – dadurch verkürzt sich die Kommunikationszeit zwischen den Kernen enorm.“

Möglich wurde die Verwendung der Grafikkarten durch einen speziellen Algorithmus, die im Fachjargon als Lattice-Boltzmann-Methode bekannt ist. „Dieser Algorithmus passt sehr gut zur Architektur von Grafikkarten. Das war wichtig, denn die Hardware muss immer gut zu dem mathematischen Rezept passen, mit dem gerechnet wird“, erklärt Witz. Damit gelang es ihm zunächst, die Flüssigkeitsströmungen in einem Bioreaktor zu simulieren.

Das reicht jedoch noch lang nicht, um einen Herstellungsprozess vollständig nachzuahmen, ergänzt der Wissenschaftler. „Als Nächstes mussten wir die Luftblasen in dem Reaktor simulieren – das war besonders schwierig, denn die kollidieren mit dem Rührer, teilen sich, hängen fest oder verbinden sich mit anderen Luftblasen.“ Schließlich galt es auch noch, die Ausbreitung von Stoffen, wie etwa zugesetztem Zucker, und die in der Flüssigkeit schwimmenden Zellen akkurat darzustellen – das sei aber verhältnismäßig einfach gewesen, meint Witz, denn im Gegensatz zu den Luftblasen haben die Zellen keine Auswirkung auf die Strömung, sie schwimmen einfach mit ihr mit.

Großer Nutzen für Industrie

Vor allem bei schnell rührenden Reaktoren sei seine Simulation inzwischen sehr zuverlässig, betont der Verfahrenstechniker. Er arbeite bereits seit Langem mit einem großen Pharmaunternehmen zusammen, im Rahmen des Fellowship-Programms der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG ist für 2021 die Gründung eines eigenen Unternehmens geplant. Bis dahin will Witz seine Algorithmen noch weiterentwickeln und vor allem für lokale Bereiche innerhalb des Bioreaktors verfeinern.

Wenn das Programm dann schließlich marktreif ist, sei es von großem Nutzen für die Industrie, ist sich Witz sicher. Bei der Entwicklung eines neuen Herstellungsprozesses könnte man sich durch seine Computersimulation Zwischenschritte und damit viel Geld sparen. Seine „bescheidenen Lizenzkosten“, so Witz, seien da schnell wieder eingespielt.

LEXIKON

Die Simulation eines Herstellungsprozesses von Biopharmazeutika erfordert unter anderem die Darstellung der Luftblasen in einem begasten und gerührten Reaktor. Im Bild zeigt die Farbe die Größe der Blasen (gelb: groß, blau: klein). Besonders schwierig zu berechnen sind die vielen großen Blasen in der Nähe des Rührers auf dem Reaktorboden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.10.2019)

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