Sorgerecht: Schlichten statt richten

Sorgerecht Schlichten statt richten
Sorgerecht Schlichten statt richten(c) AP (Tony Karacsonyi)
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Die Grünen wollen, dass erst nach einer Mediation die Gerichte entscheiden dürfen. Die gemeinsame Obsorge bei unehelichen Kindern soll ausgebaut werden. 2009 wurden 40 Prozent der Kinder unehelich geboren.

Wien. Es ist ein heikles Thema, das am 24.Juni im Parlament diskutiert wird: Im Rahmen einer Enquete werden Experten und Politiker aller Parteien ihre Änderungsvorschläge im Sorge- und im Besuchsrecht unterbreiten. Im Vorjahr (siehe Grafik oben) wurden bereits rund 40 Prozent der 76.344 Kinder unehelich geboren.

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner plant vorerst eine Info-Kampagne bei Standes- und Jugendämtern. Im Gespräch mit der „Presse“ präsentierten die Grünen ihre Änderungsvorschläge:
•So wird gefordert, dass auch bei unehelichen Kindern automatisch eine gemeinsame Obsorge gilt. Dadurch hätten Vater und Mutter Erziehungsrechte. Voraussetzung dafür soll lediglich sein, dass Vater, Mutter und Kind den selben Wohnsitz haben. Das vom grünen Justizsprecher Albert Steinhauser und von Familiensprecherin Daniela Musiol erarbeitete Papier sieht vor, dass die Behörden hier die gemeinsame Obsorge von sich aus vermerken. Momentan ist es so, dass man die gemeinsame Obsorge erst eigens beantragen muss.

Aber auch im Fall einer gemeinsamen Obsorge soll im Zweifel die Mutter über den Aufenthaltsort des Kindes entscheiden dürfen.
•Ist der Wohnsitz der frischgebackenen Eltern nicht derselbe, sei eine gemeinsame Obsorge momentan gar nicht möglich, so Steinhauser. Auch dies will er ändern. Selbst wenn überhaupt keine emotionale Beziehung zwischen den Eltern besteht (etwa, weil das Kind einem One-Night-Stand entsprang), soll die Obsorge für Vater und Mutter möglich werden. Diesfalls aber nur auf gemeinsamen Antrag, sonst erhält allein die Mutter das Sorgerecht.

APA

Infos im Mutter-Kind-Pass

Die Information über die Antragsmöglichkeit und die rechtlichen Folgen einer gemeinsamen Obsorge sollen die Eltern im Wege des Mutter-Kind-Passes erhalten.
•Doch was passiert, wenn die Beziehung am Ende ist? In diesem Fall soll die Obsorgeentscheidung nur mehr in Ausnahmefällen durch ein Gericht fallen. Das grüne Modell sieht vor, dass jeder gerichtlichen Entscheidung wegen Obsorge- oder Besuchsrechsstreitigkeiten ein Verfahren vor einer neu zu schaffenden Schlichtungsstelle vorzuschalten ist. Dort versuchen Sozialarbeiter, Psychologen, Psychotherapeuten und Mediatoren zusammen mit den Expartnern eine Lösung für das Kind zu finden. Es gehe darum, „die Probleme in der Partnerschaft hinter sich zu lassen“, betont Musiol. Dieses Verfahren sollte die Betroffenen auch nichts kosten, ergänzt Steinhauser. Der Staat springt ein. Steinhauser glaubt allerdings, dass durch die vorgelagerte Schiedsstelle viele Gerichtsverfahren eingespart werden können.
•Scheitert aber die Mediation, so soll das Gericht laut dem grünen Modell eine klare Entscheidung fällen, wem die Kinder zugesprochen werden. Von einer verpflichtenden gemeinsamen Obsorge nach der Trennung – diese gibt es etwa in Deutschland – hält Steinhauser nichts: „Vernunft kann gesetzlich nicht verordnet werden“, argumentiert er. Und wenn schon die Mediation bei der Schlichtungsstelle versage, dann sei eine gemeinsame Obsorge auch nicht mehr sinnvoll.
•Überdies fordern die Grünen Maßnahmen zur Stärkung der Väterbeteiligung bei der Erziehung. Ein „Vaterschutzmonat“ nach der Geburt des Kindes bei vollem Einkommensersatz soll sicherstellen, dass die Väter eine enge Beziehung zum Kind aufbauen.
•Strikte Regeln werden von den Grünen beim Kindergeld gefordert. Die Hälfte der Karenzzeit muss vom Vater übernommen werden, sonst gibt es das Kindergeld nur für ein Jahr.

AUF EINEN BLICK

Am 24. Juni findet im Parlament eine Enquete zur Obsorge statt. Das Thema beschäftigt die Gerichte: Die Zahl der Obsorgeanträge stieg zwischen 2004 und 2008 um rund ein Viertel (auf 25.704). Besuchsrechtsanträge nahmen um rund 20 Prozent zu (auf 8115 Fälle pro Jahr). Die Grünen schlagen nun vor, dass eine neue Schlichtungsstelle Sorgerechtsstreitigkeiten lösen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2010)

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