Unterwegs

Lenin-Tempel

Russische Museen sind häufig leidlich attraktiv – außer dieser Lenin-Tempel, aus dem ein kreatives Gesamtkunstwerk wurde.

Heute möchte ich Sie, liebe Leserin, lieber Leser, um ein Versprechen bitten. Sollte es Sie zufällig einmal ins sibirische Krasnojarsk verschlagen, dann müssen Sie unbedingt dieses Museum besuchen. Notieren Sie bitte vorsorglich seine Adresse: Friedensplatz 1. Sehen Sie, leicht zu merken. Noch einfacher ist die Webseite: www.mira1.ru

Normalerweise betrete ich russische Museen eher unwillig. Das hat mit den umständlichen Beschreibungen zu tun und mit den altmodischen Guides, die eine Jahreszahl nach der anderen herunterrattern, sodass in meinem Gehirn akute Verwirrung ausbricht. Das Krasnojarsker Museum ist anders. Es ist eigentlich kein Museum. Es ist ein Gesamtkunstwerk.

Unlängst führte mich der künstlerische Direktor, Sergej Kowalewskij, ein großer Mann mit weißblondem Haar, durch das wie ein Fischkutter aussehende Gebäude. Er sprach dabei über seine Liebe zu diesem Raum und wie der Raum ihn liebe. Man spürte das symbiotische Verhältnis. Dabei ist die Entstehungsgeschichte des Hauses recht tragikomisch. 1987 war der Klotz als letztes Lenin-Museum in Russland fertiggestellt worden, vier Jahre später platzte der kommunistische Traum endgültig.

Heute finden sich in dem Bau Reste der ursprünglichen Lenin-Schau, die mit zeitgenössischer Kunst kollidieren, eine herzzerreißende Installation über die Feldzüge in Afghanistan und Tschetschenien und waghalsige Skulpturen. Momentan läuft zum 13. Mal die sibirische Biennale. Dass ausgerechnet ein Tempel zur Huldigung Lenins zu einem Ort der Kreativität und Freiheit wurde, beeindruckte mich sehr. Ich denke, Ihnen wird es ähnlich gehen.

jutta.sommerbauer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2019)

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