Nicht die Schere zwischen Arm und Reich geht auf, sondern jene zwischen Gebrauchs- und Statusnutzen.
Analyse

Warum uns die Kluft zwischen Arm und Reich völlig egal ist

Wir haben kein Problem mit den Superreichen, auch wenn man es uns einreden will. Emotional wird es erst, wenn die Facebook-Freundin tolle Bilder von den Seychellen postet oder der Nachbar einen neuen SUV fährt. Ein Essay über Ungleichheit, Ungerechtigkeit und das weitverbreitete Gefühl, unterbewertet zu sein.

Jetzt wissen wir es also. „Eine weltweit respektierte und bewunderte Ikone der Revolution trägt eine Schweizer Präzisionsuhr.“ Christian Kern hat diesen Satz jüngst auf Twitter gepostet und sich so aus seinem politischen Exil zu wichtigen gesellschaftlichen Themen zu Wort gemeldet. Nämlich: Dürften hochrangige SPÖ-Politiker einen Porsche fahren und eine Rolex tragen?

Kern eilt also dem früheren SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda zu Hilfe, der nach dem Wahldesaster sein Büro räumen musste und in einem Porsche 911 die SPÖ-Zentrale verlies. Sein Faible für schöne und teure Uhren ist ohnehin hinlänglich bekannt. Auch der Tiroler SPÖ-Chef Georg Dornauer fährt Porsche. „Luxusdebatte“ nennt der Boulevard die leidige Affäre und trifft mit dieser Bezeichnung den Nagel tatsächlich auf den Kopf. Denn der Grund, warum zwar Che Guevara einst unverblümt eine Rolex tragen durfte und Drozda und Co. heute nicht, hängt damit zusammen, dass es uns vor 60 Jahren einfach noch nicht gut genug ging, um uns über Porschefahrer und Rolexuhrenträger zu echauffieren.

In den USA gibt es für dieses gesellschaftliche Phänomen eine nette Bezeichnung. „Keeping up with the Joneses“, lautet sie. Der Begriff leitete sich übrigens von einem Comicstrip ab, der in den 1920ern sehr populär war. Darin geht es um die Familie McGini, die sich ununterbrochen mit der Nachbarsfamilie Jones vergleicht und neidvoll über den Gartenzaun blickt, wenn es denen da drüben vermeintlich besser geht.

Lange Jahre war es den Menschen völlig egal, ob Che Guevara eine Rolex trägt oder nicht. Sie waren mit ihrem sozialen Aufstieg beschäftigt. In der Nachkriegszeit bedeutete dieser in erster Linie genügend Nahrung, ein nettes Dach über dem Kopf, eine anständige Arbeit. „Irgendwann sind die Grundbedürfnisse gedeckt“, sagt der Ökonom und Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Eco Austria, Tobias Thomas. Irgendwann macht mehr Wohlstand nicht mehr automatisch glücklicher. „Es macht uns dann aber immer noch glücklicher, wenn es uns besser geht als den Nachbarn“, sagt Thomas und folgert: „Das mag dem einen oder anderen auf den ersten Blick unsympathisch erscheinen, aber empirische Studien zeigen, dass man sich eher mit dem eigenen Umfeld vergleicht als zum Beispiel mit Dietrich Mateschitz.“

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