Gastbeitrag

Lassen wir uns nicht in eine Klimahysterie treiben

(c) Peter Kufner
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Das Thema Klimawandel hat Konjunktur. Man soll eine gute Party nicht stören, aber Realitätssinn bewahren. Acht Anmerkungen.

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Immer mehr europäische Bürger nennen den Klimawandel an erster Stelle, wenn sie nach der größten aktuellen politischen Herausforderung oder ihrer persönlichen Sorge befragt werden. Das Thema hat „Konjunktur“, die wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Intergovernemental Panel on Climate Change (IPCC) haben sich gegen Leugner des anthropogenen, also vom Menschen verursachten Klimawandels, überzeugend durchgesetzt. Eine breite Front von Bürgern und NGOs fordert eine aktivere Klimapolitik.

Beeindruckend ist das Engagement der normalerweise eher politikfernen jungen Generation. Man denke an die gestiegene Beteiligung bei den jüngsten Europawahlen, das meist gute Abschneiden grüner Parteien und die nahezu global aktive Bewegung „Fridays for Future“. Was will man mehr, ein großes Problem zwar, aber Unterstützung aus allen Lagern und Schichten für eine Regierung, die eine mutige Klimapolitik wagt. Endlich wieder Solidarität und Übernahme von Verantwortung für die Gesellschaft.

Kein Tag vergeht, ohne dass die Medien dem Thema Klimawandel breiten Raum geben. Bücher für klimafreundliche Ernährung werden angepriesen, jeder hat eine noch bessere Idee, was alles verboten gehört, viele meinen, das riesige Potential einer raschen Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene zu erkennen, an dem sich Verkehrspolitiker seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen, Anbieter von Alternativenergien sehen ihre Chance auf noch mehr Subventionen, „damit wir uns teure Energieimporte ersparen“.

Man soll eine fröhliche Party nicht stören, sich aber dennoch Realitätssinn bewahren. Dazu acht notgedrungen kurz gehaltene Punkte zum Überlegen.

► Lassen wir uns in der Klimapolitik nicht von Angst leiten. Nichts lässt sich besser von Politik und Interessengruppen instrumentalisieren, als Angst. Jeden Tag von den Medien mit Katastrophenmeldungen aus den entferntesten Winkeln des Globus mit Hinweis auf den Klimawandel und mit Weltuntergangsbeschwörungen konfrontiert zu werden, behindert rationale Entscheidungen.

► Klimawandel ist ein globales Phänomen, wenngleich mit unterschiedlichen regionalen Auswirkungen. Nicht über den regionalen oder nationalen Tellerrand hinauszublicken mag sympathisch sein und persönliche Genugtuung bringen, bringt aber kaum etwas für das Weltklima.

► Europa selbst mit seinen weniger als zehn Prozent Anteil am globalen CO2-Ausstoß kann kaum etwas für das Weltklima leisten, solang es sich nicht auf globaler Ebene als starke politische Kraft etabliert, die mit einer Stimme spricht. Auch wenn man davon ausgeht, dass Europa einen adäquaten Beitrag leistet, sind es letztlich China, Indien, die USA und Russland zusammen, die entscheidend den weiteren Verlauf der Erderwärmung bestimmen.

► Europa als technologisch überaus erfolgreiche Staatengruppe kann am meisten zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen, indem es massiv in die Entwicklung neuer oder in die Marktreife bereits vorhandener Technologien investiert. Damit bekommen auch Schwellenländer ein Instrument in die Hand, um nicht unserem westlichen Entwicklungspfad folgen zu müssen. Stichworte: synthetische Treibstoffe, Wasserstofftechnologie, disruptive Technologien in den Bereichen  Stahlerzeugung und Nuklearenergie.

► Scheuen wir uns nicht, das Wachstum der Weltbevölkerung als wichtigen Treiber der Klimakrise zu benennen. Für Afrika lautet die Bevölkerungsprognose auf Verdoppelung bis 2050 und Vervierfachung bis 2100. Hier sind alle – die betroffenen Länder und wir Europäer – aufgerufen, gemeinsam zu agieren.

► Lassen wir uns von der breiten Unterstützung für eine einschneidende Klimapolitik nicht täuschen. Hier sind neben der großen Zahl ehrlich Besorgter auch viele Gruppierungen am Werk, denen es in erster Linie um die Zerstörung unseres erfolgreichen demokratisch-marktwirtschaftlichen Systems geht; Gruppierungen, die von einer konkurrenzfreien, staatlich gelenkten Gemeinwohl-Ökonomie träumen, die prinzipiell gegen Globalisierung, Wettbewerb, Leistungsprinzip und Eigenverantwortung auftreten und häufig mit unserer hart erkämpften Demokratie nicht viel anfangen können.

► · Lassen wir uns auch keine Klimapolitik aufzwingen, die zur Aushöhlung von Menschenrechten und persönlicher Freiheit und zur Zerstörung der Diversität führt, die die Gesellschaft mit Ge- und Verboten überzieht und deren Einhaltung letztlich mithilfe moderner Überwachungstechnologien sicherstellt. China bietet dafür ein warnendes Beispiel.

► · Natürlich ist es ökonomisch geboten, Kohlendioxyd über eine einheitliche Steuer oder ein Handelssystem zu bepreisen und dafür auf andere umweltrelevante Steuern zu verzichten. Diese Instrumente sind aber sinnvoller Weise nicht auf nationaler Ebene einzusetzen ist, sondern müssen zumindest innerhalb der EU harmonisiert werden, am besten zwischen den großen Playern der Weltwirtschaft. Das Dilemma bleibt bestehen: ist der CO²-Preis zu tief angesetzt, entwickelt er zu wenig Lenkungseffekt, ist er zu hoch, belastet er die unteren Einkommensschichten und führt zu schädlichen Verwerfungen der Wirtschaftsstruktur.

Conclusio: Lassen wir uns in keine Klimahysterie treiben, sondern bewahren wir Gelassenheit, vergessen wir nicht die globale Dimension des Problems, ebenso wie die Bedeutung der demografischen Entwicklung für das Klima, und achten wir bei aller Dringlichkeit darauf, dass nicht Kräfte mit einer „Hidden Agenda“ unter dem Deckmantel „Rettung der Menschheit“ Freiheit und Demokratie zerstören.

Erhard Fürst (* 1942) leitete zuletzt den Bereich Wirtschaft und Industriepolitik der Industriellenvereinigung.

Erhard Fürst.beigestellt

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2019)


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