Großbritannien

London beharrt auf sofortigem Brexit

Brexit-Gegner demonstrieren in London
Brexit-Gegner demonstrieren in Londonimago images/PA Images
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Premier Johnson hält an Brexit-Stichtag vom 31. Oktober fest, über den neuen Deal mit der EU soll am Montag abgestimmt werden: Es gebe eine Mehrheit dafür, so der Außenminister.

London. Nach der bisher wohl größten Blamage in seiner an Turbulenzen nicht gerade armen politischen Karriere bemüht sich der britische Premier, Boris Johnson, um Zurückgewinnen der Initiative. Entgegen seiner Ankündigung, „lieber tot im Graben liegen“ zu wollen, musste er in der Nacht auf Sonntag bei der EU um eine Verlängerung des Brexit ansuchen. Wenige Stunden später erklärte Minister Michael Gove dennoch: „Wir werden am 31. Oktober austreten. Wir haben die Mittel und die Fähigkeit dazu.“

Außenminister Dominic Raab gab sich ebenfalls zuversichtlich, dass Johnson bei einer Wiedervorlage des Brexit-Deals eine Mehrheit gewinnen könnte. „Es scheint, als hätten wir die Stimmen beisammen“, sagte Raab am Sonntag der BBC. Gove meinte: „Der Wille des Premierministers ist absolut.“ Beobachter rechneten damit, dass Johnson mittlerweile eine knappe Mehrheit von 320 zu 315 für sein Abkommen haben dürfte.

„Deal gut genug für mich“

Zwei prominente Abgeordnete, die am Samstag den Premier ins Straucheln gebracht hatten, kündigten ihre Unterstützung an. Der Deal sei „weniger gut“ als das frühere Abkommen mit der EU, aber „gut genug für mich“, so die frühere konservative Sozialministerin Amber Rudd. Der Urheber der Verschiebung, Oliver Letwin, betonte: „Ich stehe hinter der Regierung.“ Wann der nächste Akt im Brexit-Drama über die Bühne gehen wird, blieb unklar. Eventuell schon am Montag will die Regierung Johnsons Deal im Parlament einbringen. Die Entscheidung über eine Zulassung liegt bei Parlamentschef, John Bercow. Im März hatte er die Wiedervorlage eines gescheiterten Antrags untersagt. Diesmal aber wurde der Antrag vor der Abstimmung zurückgezogen. Bercow ließ sich nicht in die Karten schauen: „Ich werde mich darüber beraten.“

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Erwartet wurde auf jeden Fall für Dienstag die Vorlage des notwendigen Durchführungsgesetzes für den Brexit im Parlament. Das Fehlen dieser komplexen Materie war der Regierung am Samstag zum Verhängnis geworden, denn die Mehrheit der Abgeordneten vertraute nicht den Versprechungen Johnsons, sondern wollte eine reguläre parlamentarische Behandlung. Mit ihrem Crashkurs wollte die Regierung Verzögerungen verhindern. Diese bekommt sie nun auf jeden Fall: „Wir werden Zusatzanträge einbringen“, kündige Labour-Brexit-Sprecher Keir Starmer an.

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Neben Novellen zum Schutz von Arbeitnehmerrechten und zur „Verhinderung einer Falltür zu einem No-Deal-Brexit“ nach Ende der Übergangsfrist 2020 stellte Starmer auch die Forderung nach einer neuen Volksabstimmung in den Raum. In Gegensatz zu seinem Parteichef, Jeremy Corbyn, deutete er sogar die Zustimmung Labours zu Johnsons Deal unter der Voraussetzung an, dass die letzte Entscheidung dem Volk übertragen wird: „Egal welcher Deal es ist, er muss am Ende in einer Volksabstimmung gegen die Option des EU-Verbleibs bestätigt werden.“

Keine Mehrheit für zweites Referendum

Auch wenn ein neues Referendum mittlerweile Labour-Parteilinie ist, zeichnet sich dafür weiter keine Mehrheit im Parlament ab. Von den nordirischen Unionisten (DUP) hieß es: „Wir wollen kein zweites Referendum, sondern die Umsetzung des ersten.“ An die Adresse von Premier Johnson, dem die Nordiren zuletzt die Gefolgschaft aufgekündigt hatten, erklärte DUP-Brexit-Sprecher Sammy Wilson: „Wir wollen die EU als gemeinsame Union verlassen.“

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Wann es dazu kommen würde, blieb trotz der Durchhalteparolen der Regierung unabsehbar. Ein parlamentarisches Monsterprogramm, das im Normalfall Wochen in Anspruch nimmt, in neun Tagen durchzupeitschen, scheint fast ausgeschlossen. Angesichts dessen setzte auch die EU vorerst auf Abwarten. Ratspräsident Donald Tusk bestätigte den Erhalt des britischen Antrags und erklärte, er werde „in ein paar Tagen“ die nächsten Schritte setzen. Die EU-Botschafter tagten nur 15 Minuten, danach erklärte Chefunterhändler Michel Barnier: „Der Austrittsprozess geht weiter.“ Er werde dem EU-Parlament heute das Abkommen vorlegen. Als neuer Brexit-Termin wurde Ende November gehandelt.

Drei Briefe an die EU

Johnson hatte der EU gleich drei Schreiben vorgelegt: ein nicht unterschriebenes Blatt Papier ohne Briefkopf und dem Ersuchen um Verlängerung, einen persönlichen Brief gegen eine Verlängerung und ein Erklärungsschreiben des britischen EU-Botschafters. Wollte er damit der EU eine Falle stellen, scheiterte er. Der Antrag wurde akzeptiert, der Brief ignoriert. Die Opposition drohte zwar wegen „Missachtung des Gesetzes“ mit dem Gericht, Starmer meinte aber nur, Johnsons Verhalten sei „kindisch“. Der Jurist David Allen Green: „Das ist alles nur Ablenkungstaktik“, mit der sich Johnson vor den Hardlinern als Held darzustellen versuche. „Das Gesetz verlangte, dass er das Ansuchen sendet, nicht, dass er es unterschreibt.“

Der Brexit-Zeitplan: Wie geht es weiter?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2019)

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