Waffenruhe

Kurdenmilizen beginnen Rückzug aus Nordsyrien

APA/AFP/DELIL SOULEIMAN
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Die YPG verlässt die umkämpften Gebiete nahe der türkischen Grenze. Humanitäre Helfer zeichnen ein dramatisches Bild von der Lage in der Region.

Drei Tage nach Verkündung einer Waffenruhe für Nordsyrien hat die Kurdenmiliz YPG mit dem Rückzug aus den umkämpften Gebieten begonnen. Die von der YPG angeführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) teilten auf der Kurznachrichtenplattform Twitter mit, die umkämpfte Grenzstadt Ras al-Ain verlassen zu haben. Auch das türkische Verteidigungsministerium schrieb, es verfolge den Abzug der YPG. Es gebe dabei "keinerlei Hindernisse".

Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete, dass sich rund 500 SDF-Kämpfer komplett aus Ras al-Ain zurückgezogen hätten. Zuvor seien Leichen und Verwundete aus dem Ort gebracht worden.

US-Vizepräsident Mike Pence hatte die Waffenruhe zwischen den Konfliktparteien am Donnerstag nach Gesprächen in Ankara verkündet. Die Feuerpause sollte den Kurdenmilizen Gelegenheit geben, sich aus dem Gebiet auf der syrischen Seite der Grenze zurückzuziehen, in dem die Türkei eine sogenannte Sicherheitszone errichten möchte. Die Türkei hatte die Angriffe im Norden Syriens am 9. Oktober gestartet.

„Totales Chaos für Hunderttausende Syrer“

Der laufende Abzug der US-Truppen werde "Wochen, nicht Tage" dauern, sagte US-Verteidigungsminister Mark Esper an Bord eines Fluges nach Afghanistan. Dieser solle "sehr überlegt und sehr sicher" verlaufen. Die Soldaten sollen Esper zufolge in den Irak verlegt werden und sich von dort aus weiter am Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) beteiligen. Mit dem Abzug aus Nordsyrien hatten die USA dem türkischen Einmarsch den Weg geebnet.

Humanitäre Helfer zeichneten weiter ein dramatisches Bild von der Lage der betroffenen Menschen. "Die vergangene Woche war ein totales Chaos für Hunderttausende Syrer", sagte Karl Schembri, Sprecher vom Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC), dem TV-Sender CNN International. "Sie leben in Angst und Unsicherheit, ohne zu wissen, wo die nächste Bombe explodieren wird", sagte Schembri.

In gut einer Woche sind nach jüngsten Angaben des UN-Nothilfebüros Ocha mindestens 165.000 Menschen durch die Kämpfe vertrieben worden, darunter schätzungsweise 70.000 Kinder. "Mehr und mehr von ihnen werden in den benachbarten Irak und in andere Gegenden flüchten, die nicht darauf vorbereitet sind, vertriebene Familien aufzunehmen", sagte Schembri. Etwa 2400 Menschen hätten bereits die Grenze zum Irak überquert. Die Situation in syrischen Lagern sei dabei "extrem besorgniserregend", hatte Ocha am Freitag mitgeteilt.

Ankara weist Kriegsverbrechen zurück

Vor Beginn der türkischen Angriffe hätten bereits mehr als 100.000 Vertriebene in Lagern in der Region gelebt, sagte Schembri. Mit der Unterstützung humanitärer Helfer hätten sie überlebt. "All das wurde im Lauf der vergangenen Woche gefährdet, weil die meisten Helfer selbst flüchten mussten." Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) twitterte am Sonntag, eine der letzten noch verbleibenden internationalen Hilfsorganisationen in Nordsyrien zu sein.

Die Türkei hatte am 9. Oktober im Norden Syriens eine Offensive gegen die YPG gestartet, die sie als Terrororganisation betrachtet. Die Türkei wurde dabei weder von der syrischen Regierung um Hilfe gebeten noch erteilte der UN-Sicherheitsrat ein entsprechendes Mandat. Ankara begründet deshalb den Einmarsch mit dem Recht auf Selbstverteidigung.

Die Türkei wies den Vorwurf der Menschenrechtsorganisation Amnesty International zurück, bei dem Angriff Kriegsverbrechen begangen zu haben. Es handle sich um "gegenstandslose Behauptungen", die Teil einer Diffamierungskampagne gegen den türkischen Anti-Terrorkampf seien, teilte das türkische Außenministerium mit. Amnesty hatte der türkischen Armee und den mit ihr verbündeten Rebellen "rücksichtslose Angriffe auf Wohngebiete" vorgeworfen, bei denen Zivilisten getötet und verletzt würden. Pro-türkische Rebellen sollen zudem eine syrisch-kurdische Politikerin geschlagen und dann erschossen haben.

(APA/dpa)

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