Parlamentswahl

Kanadas gefallener Sonnyboy bekommt eine zweite Chance

Ein Tag der Freude für den kanadischen Premiereminister Justin Trudeau.
Ein Tag der Freude für den kanadischen Premiereminister Justin Trudeau.REUTERS
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Die Liberalen von Justin Trudeau kommen bei den Parlamentswahlen in Kanada mit einem blauen Auge davon, müssen sich aber einen Regierungspartner suchen. Als größter Gewinner der Wahl gilt eine französische Regionalpartei.

Die Fallhöhe war groß. Er war der Politik-Superstar vor vier Jahren, verkörperte Aufbruch, eine neue Generation, Reformen. Justin Trudeau eroberte Kanada sozusagen im Sturm, konnte mit absoluter Mehrheit regieren. Doch der Glanz verblasste, der politische Alltag machte aus dem Sonnyboy einen „Normalo“. Doch der Aufschlag in der Realität fiel bei den Parlamentswahlen am Montag nicht ganz so hart aus, wie manche in seiner liberalen Partei befürchtet hatten. Mit voraussichtlich 156 errungenen Sitzen blieb die Regierungspartei des 47-Jährigen bei der Parlamentswahl deutlich unter ihren 184 Mandaten von 2015 - für eine absolute Mehrheit wären 170 Sitze nötig gewesen. Die Liberalen bleiben die größte Partei im kanadischen Parlament.

"Wir werden zusammen vorwärtsgehen in eine bessere Zukunft“, sagte Trudeau am frühen Dienstagmorgen in seiner Ansprache vor Anhängern in Montréal. Sein Team werde für alle Kanadier kämpfen. Zwei Minister aus Trudeaus Kabinett verloren ihre Sitze in westlichen Bundesstaaten, wo die für die Wirtschaft des Landes wichtige Öl- und Energiebranche über die Umweltpolitik der Regierung klagt. An seine Kritiker gewandt sagte der 47-jährige Trudeau, er habe ihre Enttäuschung vernommen und werde sicherstellen, dass ihre Stimmen gehört werden. Die liberale Regierung werde fortsetzen, was sie in den vergangenen vier Jahren begonnen habe. Dazu gehörten der Kampf gegen den Klimawandel und gegen die Waffengewalt.

Trudeau muss sich künftig also auf Partner verlassen. Eine Koalitionsregierung wäre für kanadische Verhältnisse ungewöhnlich - ganz im Gegensatz zu einer Minderheitsregierung. Letzt genannte haben aber auch in Kanada häufig eine kürzere Halbwertszeit als Kabinetete mit absoluter Mehrheit. Die sozialdemokratisch ausgerichtete Neue Demokratische Partei von Jagmeet Singh hat bereits angekündigt, für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Auch der große Gewinner der Wahl, der Bloc Québécois, eine Regionalpartei aus der großteils französisch-sprachigen Provinz Québec, ist Gesprächen mit Trudeau nicht abgeneigt. Die früher radikaler für eine Selbstständigkeit der Provinz und nun gemäßigter auftretende Partei konnte von 10 auf 32 Sitze deutlich zulegen.

Ergebnis der Parlamentswahl in Kanada
Ergebnis der Parlamentswahl in Kanada(c) APA

Die meisten Stimmen erhielten die Konservativen von Andrew Scheer. Doch das Mehrheitswahlsystem (Partei-Kandidaten gewinnen ähnlich wie in den USA und in Großbritannien ihren Sitz in einem Wahlkreis) teilt ihnen weniger Sitze im Parlament zu, als den Liberalen von Trudeau. Die Konservativen könnten ebenfalls versuchen, eine Minderheitsregierung zu bilden. Doch Trudeau wird den Auftrag zuerst bekommen. Außerdem hat Scheer weniger Optionen, Sozialdemokraten und Grüne tendieren eher zu Trudeau.

Rund 27 Millionen Bürger waren in dem G7-Land, das als das flächenmäßig zweitgrößte der Welt gilt, dazu aufgerufen, neue Abgeordnete zu wählen. Die Abgeordneten werden per Direktwahl nach dem Mehrheitsprinzip gewählt.

Gebrochene Wahlversprechen, öffentliche Skandale

Die Bilanz der liberalen Regierung nach vier Jahren ist durchwachsen. Manche Versprechen konnte Trudeau halten, wie die Legalisierung von  Marihuana. Er hat auch mehr als 25.000 syrische Flüchtlinge im Land aufgenommen. An einer Wahlrechtsreform oder einem ausgeglichenen Budget bis 2019 scheiterte er aber.

Doch was ihm die Wähler von 2015 am Übelsten nahmen, waren die Skandale, mit denen Trudeau im Wahlkampf auch am meisten beschäftigt war. Vor allem, dass er Ermittlungen gegen ein kanadisches Unternehmen wegen Bestechung in Libyen unterdrücken wollte - eine Ethik-Kommission bescheinigte ihm falsches Verhalten. Später tauchte ein altes Foto von ihm auf, das ihn vor 20 Jahren mit dunkel geschminktem Gesicht - verkleidet als Aladdin - auf einer Party zeigte. Der Ministerpräsident entschuldigte sich für sein "rassistisches" Verhalten.

Scheer beschuldigte Trudeau auch deshalb, das kanadische Volk über sein wahres Wesen zu täuschen und beschimpfte ihn als „Betrüger“. Ein großes Thema im Wahlkampf war auch der Kampf gegen die Klimakrise: Während die Konservativen ankündigten, Trudeaus CO2-Steuer zurückdrehen zu wollen, musste die Regierung von links viel Kritik dafür einstecken, dass die Maßnahmen nicht weit genug gingen. Auch der Ausbau einer Öl-Pipeline im Westen Kanadas sorgte bei umweltbewussten Wähler für Skepsis.

(APA/dpa/AFP/Red.)

(APA/dpa/AFP/Red.)

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