Brexit

Streit über Zeitplan: Johnson droht mit Neuwahlen

MPs Debate And Vote On The Withdrawal Agreement Bill
MPs Debate And Vote On The Withdrawal Agreement Bill(c) Getty Images (Dan Kitwood)
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Boris Johnson wollte seinen Deal vom Parlament abnicken lassen. Doch das Unterhaus will zuerst die Implementierung debattieren und beschließen - und mehr Zeit dafür. Für den Premier keine Option.

Remainers, Brexiteers, Beobachter - alle sind sich in zumindest einem Punkt einig: Der Austritt Großbritanniens aus der EU ist eine komplexe Angelegenheit. Vor allem in dieser Woche kann man als Brexit-Voyeur ein wenig durcheinander kommen. Denn es gilt zwei Dinge auseinanderzuhalten: den eigentlichen Brexit-Deal (den EU und die Regierung von Premier Boris Johnson verhandelt haben) und das Brexit-Gesetzgebungsverfahren - in englischen Medien und im britischen Diskurs stets „WAB" genannt ("Withdrawal Agreement Bill"). Über beides muss das britische Unterhaus abstimmen. Die Reihenfolge war dabei zuletzt das Problem. Johnson wollte zuerst seinen Deal durchbringen, das Parlament fokussiert auf das WAB. Und das hat seine Gründe.

Bis Donnerstag hat die Regierung dem Unterhaus Zeit gegeben, die Debatte rund um die Brexit-Gesetzgebung inklusive Abstimmung zu beenden. Für viele Abgeordnete aufgrund der zu behandelnden Menge an Themen und Seiten eine Provokation. Am Dienstagabend soll über den Zeitplan abgestimmt werden. Johnson drohte dem Unterhaus mit Neuwahlen, sollten sie diesen ablehnen. Dann würde er die WAB zurückziehen. Die Neuwahlen würden noch vor Weihnachten anvisiert, sagte ein Regierungsmitarbeiter am Dienstag zur Nachrichtenagentur Reuters.

Wie es dazu kam

Rückblick auf Samstag (19.10.): Boris Johnson wollte seinen frisch geschnürten Deal mit der EU im Parlament einem „meaningful vote“ unterziehen. Die Abgeordneten des britischen Unterhauses sollten also klar Stellung beziehen: Ja oder Nein zum vorgelegten Pakt. Doch Johnsons Ex-Parteikollege, der Abgeordnete Oliver Letwin, pfuschte dem Premier ins Handwerk. Er brachte einen Antrag ein, der besagt, dass die Abstimmung über den Deal verschoben wird und erst über das Brexit-Gesetzgebungsverfahren debattiert und abgestimmt werden muss. Sein  Antrag gewann die Mehrheit der Abgeordneten.

Nebeneffekt 1: Da der Deal nicht vom Unterhaus abgesegnet wurde, musste Johnson widerwillig einen Brief nach Brüssel schicken, um eine Fristverlängerung zu erbitten.

Nebeneffekt 2: Da er den Brief nicht unterschrieb und in weiteren Briefen erklärte, die Fristverlängerung als nicht sinnvoll zu erachteten, beschäftigt sich nun auch ein Gericht in Schottland mit der Sache. Kritiker werfen Johnson vor, den Willen des Parlaments zu torpedieren. Die Richter in Edinburgh erklärten am Montag, sie wollten vor einer Entscheidung erst beobachten, wie sich die Regierung in London weiter verhalte und ob sie vollends im Einklang mit dem Gesetz handle. Im Zweifel könne es noch immer zu einer Rüge kommen.

Rückblick auf Montag (21.10.): Wegen der Ereignisse am Samstag gab es am Montag dann gleich den nächsten Rückschlag für Johnson. Denn er wollte seinen Deal erneut zur Abstimmung im Parlament vorlegen. Hier machte ihm aber Unterhaussprecher, „Mr. Speaker" John Bercow, einen Strich durch die Rechnung, denn er ließ die Abstimmung nicht zu - mit einem Argument, das auch Johnsons Vorgängerin Theresa May schon akzeptieren musste: der Entwurf der Regierung sei inhaltlich der gleiche wie der vom Samstag. Auch die Umstände hätten sich nicht geändert. 

John Bercow erklärte am Montag in Westminster, warum er Johnson Abstimmungsantrag nicht durchführen lässt.
John Bercow erklärte am Montag in Westminster, warum er Johnson Abstimmungsantrag nicht durchführen lässt.(c) APA/AFP/UK PARLIAMENT/JESSICA TAYLOR (JESSICA TAYLOR)

Dienstag bis Donnerstag (22.10. bis 24.10.) wird jetzt also (wie am Samstag von den Parlamentariern bestimmt und am Montag bestätigt) nicht der eigentliche Deal das Thema, sondern die Brexit-Gesetze, die Gesetze zur Ratifizierung, das WAB. Die Gesetze zur Umsetzung des Brexits gelten als komplizierte Materie. Das Problem für Boris Johnson im Ratifizierungsprozess: Es können Änderungsanträge eingebracht werden. Manche davon, die bereits kolportiert werden, stehen dem Brexit-Deal von Boris Johnson aber diametral entgegen bzw. könnten die Umsetzung verzögern. Das hätte zur Folge, dass Johnson den Deal erneut mit der EU umverhandeln müsste. Es könnte auch die angebliche Mehrheit für den Johnson-Deal zu Nichte machen.

Mögliche Abänderungsanträge: So wollen Abgeordnete der Labour-Partei und weitere Parlamentarier beschließen lassen, dass Johnsons Deal dem Volk in einem weiteren Referendum zur Zustimmung vorgelegt werden muss. Unter diesen Umständen könnte sich zumindest ein Teil der Labour-Abgeordneten eine Zustimmung vorstellen.

Ein anderer erwarteter Änderungsantrag sieht vor, dass ganz Großbritannien mit dem Rest der EU in einer Zollunion bleiben soll. Dies würde vor allem bei Brexit-Hardlinern auf Widerstand treffen, da Großbritannien dann nicht ohne weiteres Handelsabkommen mit den USA oder anderen Ländern abschließen könnte - für Befürworter ein Hauptvorteil des Brexits.  

Die Uhr tickt jedenfalls: Der britische Premier Boris Johnson muss das Gesetz zur Ratifizierung des Brexit-Vertrags jetzt im Eiltempo durch das Parlament peitschen, wenn er am Halloween-Datum weiterhin als Brexit- Datum festhalten will. Nötig ist ein Verfahren mit drei Lesungen in beiden Parlamentskammern in London. Erst danach stimmt das Europaparlament über das Vertragswerk ab.

Der Zeitplan

22. Oktober: Das britische Unterhaus berät über ein Gesetz zur Ratifizierung des Austrittsabkommen. Theoretisch könnte die Ratifizierung bis Donnerstag abgeschlossen sein.

24. Oktober: Letzter regulärer Sitzungstag des Europaparlaments vor dem Brexit-Termin 31. Oktober. Eine ursprünglich für den Tag angedachte Abstimmung über den Vertrag, der auch auf EU-Seite ratifiziert werden muss, wurde am Montagabend von der Tagesordnung gestrichen. Nun soll am Donnerstag entschieden werden, ob das EU-Parlament nächste Woche zu einer Sondersitzung zusammenkommt, womöglich am 31. Oktober.

28. oder 29. Oktober: Denkbare Termine für einen Sondergipfel der 27 bleibenden EU-Staaten, um eine Verlängerung der Austrittsfrist für Großbritannien zu beschließen. Möglich ist auch, dass die Staats- und Regierungschefs nicht noch einmal nach Brüssel reisen, sondern einen Aufschub im schriftlichen Verfahren genehmigen. Dies gilt aber nur dann, wenn es keinen großen Diskussionsbedarf gibt.

31. Oktober: Nach jetzigem Stand letzter Tag der britischen EU-Mitgliedschaft. Ohne Fristverlängerung endet sie um 24.00 Uhr. Letzter Termin für eine Sondersitzung des EU-Parlaments für die Ratifizierung.

31. Jänner: Der von Großbritannien vorgeschlagene neue Austrittstermin. Er ist in einem britischen Gesetz, dem sogenannten Benn Act, vorgegeben. Premierminister Johnson war am Wochenende gezwungen, die Verzögerung bei der EU zu beantragen. Diese könnte aber auch eine andere Frist wählen.

(APA)

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