Großbritannien

Parlament erzwingt Brexit-Pause

Spiegelung des House of Commons
Spiegelung des House of Commons Getty Images
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Nach einer Abstimmungsniederlage im Parlament hat Premier Boris Johnson seine Gesetzgebung zum Brexit-Deal auf Eis gelegt. Nun muss die EU einer Verlängerung zustimmen.

London. Der britische Premierminister Boris Johnson sieht sich zu einem Halt im Brexit-Prozess gezwungen. „Wir werden diesen Gesetzantrag ruhend stellen“, erklärte er am Dienstag in London, nachdem das Parlament den Zeitplan der Regierung für die parlamentarische Behandlung seines Brexit-Deals mit 322:308 Stimmen deutlich abgelehnt hatte. Zuvor hatten die Abgeordneten erstmals einem Abkommen mit der EU mit 329:299 „im Prinzip“ zugestimmt.

In seiner Reaktion spielte Johnson den Ball an die EU weiter: „Die EU muss sich nun eine Meinung bilden“, und er werde „in den kommenden Tagen mit unseren EU-Partnern beraten.“ Ratspräsident Donald Tusk sprach sich noch am Abend für eine Brexit-Verschiebung aus. Er werde den EU-Staats- und Regierungschefs empfehlen, dem britischen Antrag zuzustimmen. Im Gespräch ist eine Verschiebung bis zum 31. Jänner.

Johnson brachte auch wieder die Karte eines No-Deal-Brexit ins Spiel. Sollte die EU keine Verlängerung gewähren, fällt Großbritannien nach weiterhin geltender Gesetzeslage ohne Vereinbarung aus der Union. Hinter vorgehaltener Hand gilt das freilich als undenkbar. „Unsere Position wird niemals der No-Deal sein“, sagte Tusk.

Damit die Frist verlängert wird, ist die Zustimmung aller verbleibenden 27 EU-Staaten - im Einvernehmen mit Großbritannien - erforderlich. Dies ist im EU-Austrittsartikel 50 des EU-Vertrags so vorgesehen. Noch am heutigen Mittwochnachmittag trifft sich die zuständige Brexit-Ratsarbeitsgruppe in Brüssel, anschließend dürften noch die Botschafter über die Verschiebung beraten. 

Die deutsche Bundesregierung erklärte in einer ersten Reaktion am Mittwoch, eine Verlängerung um einige Wochen mittragen zu wollen. Frankreich reagierte dagegen zurückhaltend.

Kein Neuwahlantrag

Entgegen seiner Ankündigung in der vorangegangenen Unterhausdebatte mache Johnson seine Ankündigung nicht wahr, bei einer weiteren Abstimmungsniederlage einen weiteren Neuwahlantrag einzubringen. „Ich werde mit der Parole „Lasst uns den Brexit erledigen“ in den Kampf ziehen“, verkündete er. Nach der Abweisung seines Zeitplans war davon vorerst nichts zu hören.

Nichts zu hören war von Johnson aber auch zum Vorstoß von Oppositionsführer Jeremy Corbyn: „Lassen Sie uns gemeinsam einen vernünftigen Zeitplan ausarbeiten“. Schon vor der Abstimmung hatte die Labour-Fraktion in einem Schreiben an die konservative Minderheitsregierung ebenfalls einen „Kompromiss“ über das weitere Verfahren angeboten. Eine Antwort blieb freilich aus.

Obwohl die Niederlage absehbar war, wollte Johnson mit aller Gewalt seinen Plan durchsetzen, in nur drei Tagen das wohl schwerwiegendste Gesetz Großbritanniens der letzten 50 Jahre durch alle Instanzen des Unterhauses zu peitschen. „Ich werde keine weitere Verzögerung von drei Monaten dulden“, hatte er dem Parlament gedroht. Die Abgeordneten erhielten erst Montagabend die Gesetzesvorlage und die dazugehörigen Erläuterungen.

Johnson sieht „Fortschritt“

Dennoch konnte Johnson als Erfolg für sich verbuchen, dass die Abgeordneten gestern in ihrem ersten Votum einem Brexit-Deal zumindest „im Prinzip“ zugestimmt hatten: „Ich begrüße diesen Fortschritt“, sagte Johnson. In Wahrheit gab das Unterhaus aber nur grünes Licht zu einer weiteren ordnungsgemäßen Behandlung des Durchführungsgesetzes. Inhaltlich waren schon in der Debatte am Dienstag riesige Auffassungsunterschiede erkennbar, eine Vielzahl an Änderungsanträgen wurden bereits eingebracht oder vorbereitet.

In dem bald dreieinhalb Jahre währenden Brexit-Ping-Pong zwischen London und Brüssel spielte die EU den Ball noch Dienstagabend zurück: „Die EU-Kommission nimmt das Ergebnis zur Kenntnis. Wir erwarten, dass uns die britische Regierung über die nächsten Schritte informieren wird. Der EU-Kommissionspräsident (Donald Tusk) berät über den britischen Antrag auf Verlängerung bis 31. Jänner 2020.“

„Business as usual"

Als weiteres Anzeichen, dass die Regierung die Hoffnung auf einen Brexit zu ihrem Zieldatum 31. Oktober aufgegeben hat, kündigte Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg nach der Stellungnahme von Premierminister Johnson an, dass man heute, Mittwoch, im Parlament mit der Debatte der Queen´s Speech fortfahren werde. Das Parlament werde „am Freitag nicht tagen“. Anstatt höchster Panik wurde „business as usual“ signalisiert.

Die Opposition bejubelte die Niederlage der Regierung. „Das ist das Ende der Hasard-Politik“, sagte die Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson. „Zeigen Sie staatsmännische Qualität und sichern Sie ein Verlängerung“, forderte sie Premier Johnson auf. Der Fraktionschef des Scottish National Party, Ian Blackford: „Das ist eine weitere vernichtende Niederlage für den Premierminister.“ Das Parlament habe gezeigt, “dass man so nicht mit uns umspringen kann.“

Auch wenn er vorerst davon Abstand nahm, wurde dennoch davon ausgegangen, dass Johnson keinen anderen Ausweg mehr hat als vorgezogene Neuwahlen. Traditionell war es üblich, dass ein Premier, der keine Mehrheit für seine Regierungserklärung (die sogenannte Queen´s Speech) erhält, der Königin seine Demission anbietet. Dies ist seit den 1920er Jahren nicht geschehen. Aber Johnson hat nicht nur keine Mehrheit, er hat sich mittlerweile auch bisherige Verbündete wie die nordirischen Unionisten zu Gegnern gemacht.

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