Großbritannien

Nach neuem Brexit-Patt startet der Wahlkampf

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Noch will es keiner sagen: Aber die Briten dürften vor dem EU-Austritt neuerlich zu den Urnen gerufen werden.

London. Nach der Ankündigung des britischen Premierministers, Boris Johnson, die weitere parlamentarische Behandlung seines Brexit-Deals vorerst auf Eis zu legen, bereiten sich die Parteien auf vorgezogene Neuwahlen vor. Nach einem Treffen zwischen Johnson und Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour Party gingen gestern, Mittwoch, beide Parteien mit Briefings an die Öffentlichkeit, die feindseliger kaum hätten sein können: „Corbyn hat einmal mehr demonstriert, dass er keine Politik hat“, hieß es von Johnsons Konservativen. „Labour wollte über einen vernünftigen Zeitplan sprechen“, gab die Opposition der Regierung die Schuld an dem ergebnislosen Gespräch.

Der Brexit, der eigentlich für den Stichtag 31. Oktober geplant war, rückt damit immer weiter in die Ferne, auch wenn das vorerst niemand aussprechen wollte. Eine Einhaltung des Wunschtermins der Regierung sei nur mehr „sehr schwer vorstellbar“, hatte schon Parlamentsminister Jacob Rees-Mogg nach der Abstimmungsniederlage Dienstagabend im Parlament eingeräumt. Johnson wiederholte in der gestrigen Fragestunde im Unterhaus, dass die Entscheidung nun bei der EU liege. EU-Ratspräsident Donald Tusk sprach sich für eine Verlängerung aus, auch aus Österreich und Deutschland kamen positive Signale. Zustimmung signalisierte auch Irlands Regierungschef, Leo Varadkar.

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Daher stehen nun voraussichtlich zuerst vorgezogene Neuwahlen an. Labour bekräftigte, bereit zu sein, „sobald die Gefahr eines No-Deal-Brexit vom Tisch ist“. Zu einer Brexit-Verschiebung bereit sind auch die anderen Oppositionsparteien, wenngleich sie andere Prioritäten setzen: Die Scottish National Party (SNP) will zuerst eine neue Regierung, die Liberaldemokraten wollen zuerst ein neues EU-Referendum.

Johnson drängt auf Neuwahl

Um Neuwahlen zu erzwingen, kann der Premierminister entweder einen entsprechenden Antrag stellen, oder er kann durch einen Misstrauensantrag gestürzt werden. Die Opposition hat zwar die Stimmen, will aber zuerst Garantien, dass der Brexit verschoben wird: „Wir können diesem Mann nicht trauen“, sagte SNP-Fraktionschef Ian Blackford.

Johnson drängt selbst auf eine Neuwahl. Er liegt in den Umfragen voran und will sich als der Mann darstellen, der den Brexit umsetzt. Je mehr er sich aber in parlamentarischen Fallstricken verheddert, desto mehr leidet sein Nimbus. Sein Konkurrent Nigel Farage von der Brexit Party erklärte bereits in Anspielung auf Ankündigungen des Premierministers: „Von wegen Brexit um jeden Preis und lieber tot im Straßengraben liegen: Wir werden nicht am 31. Oktober aus der EU austreten.“ Für Johnsons Konservative könnte Farage eine entscheidende Schwächung bedeuten.

Vor einem noch viel größeren Spagat steht aber die Labour Party. Nicht weniger als 19 Abgeordnete stimmten Dienstagabend entgegen der strikten Weisung der Parteiführung „im Prinzip“ für Johnsons Brexit-Deal. Sie vertreten Wahlkreise, vor allem aus dem Norden Englands, die 2016 für den EU-Austritt gestimmt hatten. Kein einziger von ihnen zeigte sich in der Parlamentsdebatte mit dem Gesetz zufrieden, aber alle erklärten: „Es ist Zeit, den Brexit umzusetzen.“

Das wird wohl noch ein wenig dauern. Im Gespräch war eine Verlängerung bis 31. Jänner 2020 mit Option auf einen früheren Austritt, sollte das britische Verfahren davor abgeschlossen sein. Johnson betonte, dass nun erstmals ein von der Mehrheit angenommenes Abkommen vorliege. Das ist freilich nur technisch richtig: Das Unterhaus stimmte dem Deal „im Prinzip“ zu, aber dazu liegt bereits eine Vielzahl von Änderungsanträgen vor. Die alles entscheidende Abstimmung nach der dritten Lesung ist vorerst auf unbestimmte Zeit vertagt. Kommt es zuvor zu Neuwahlen, heißt es für Johnson: zurück an den Start.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2019)

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