Geisterzug nach Brüssel

Der mit viel Begleitmusik angekündigte ÖBB-Nachtzug von Wien nach Brüssel wird für Dienstreisende untauglich sein - denn wer kann seinen Arbeitstag um 10:55 Uhr beginnen?

Auf die Euphorie folgt die Ernüchterung: Anfang des Monats kündigte ÖBB-Chef Andreas Matthä im Gespräch mit der „Wiener Zeitung" an, die Nachtzugverbindung zwischen Wien und Brüssel auferstehen zu lassen. Der Zeitpunkt hierfür war meisterhaft gewählt, denn europaweit ging die Jugend für eine klimapolitische Revolution auf die Straßen, und Hand aufs Herz: wer wünscht sich nicht preiswerte, ökologische und bequeme Alternative zum Lufthansa-Monopol, um von Wien aus die Hauptstadt Europas zu erreichen?

Am Mittwoch allerdings berichtete die belgische Nachrichtenagentur Belga anlässlich der Vorstellung des neuen ÖBB-Fahrplanes, wann der Nachtzug ab Mitte Jänner nächsten Jahres aus Wien in Brüssel ankommen wird: nämlich am Vormittag um 10:55 Uhr. Und nur montags und donnerstags. 10:55 Uhr: das ist eine für beruflich Reisende untaugliche Zeit. Vor allem für alle jene, die im EU-Viertel arbeiten, ist der Zug somit keine Alternative zum Flugzeug. Denn vom Endbahnhof, der Gare du Midi, braucht man mit der U-Bahn selbst im besten Fall eine halbe Stunde, um an der Station Schuman im Herzen des EU-Viertels anzukommen (der Verfasser dieser Zeilen hat dies unzählige Male in unterschiedlichen Stadien gehetzter Verzweiflung ausgetestet). Auch Andreas Schieder, der neue Delegationsleiter der SPÖ-Europaabgeordneten, wird sich also überlegen müssen, ob er seine per Presseaussendung deponierte Ankündigung: „Ich freue mich schon auf meine erste Nachtfahrt von Wien nach Brüssel“ wahr machen wird können.

„Sie haben den wunden Punkt angesprochen: die Ankunftszeit ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ideal“, sagte ein Sprecher der ÖBB auf Anfrage der „Presse“. Der Grund dafür ist ein Beispiel dafür, wie viel politische Arbeit es noch zu leisten gibt, um in der EU einen wirklich leistungsfähigen Zugsverkehr zu schaffen. Denn die ÖBB bekam, weil es schon spät im Jahr ist, von den ohnehin argwöhnischen belgischen Staatsbahnen nur mehr diese schlechten Ankunftszeiten überlassen. Wozu also ein Nachtzug, den wohl nur Bahnliebhaber nehmen werden? „Die ÖBB möchte ein klares Statement setzen, dass wir internationale Nachtzüge wieder aufbauen“, erklärte der Sprecher. Ab dem nächsten Fahrplanwechsel hoffe man auf bessere Ankunftszeiten - und wir Bahnreisenden hoffen mit.

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