Employer Branding

Schein und Sein in Kanzleien

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Men’s clothing isolated on white backgroundGetty Images
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Nachwuchsprobleme überall: Also verpassen sich Kanzleien ein zeitgeistiges Image als attraktive Arbeitgeber. Damit fangen die Probleme erst an.

Wir sind anders, signalisierte die Kanzlei auf ihrer Website. Modern, leger, offen. Mit dieser Erwartung ging eine Kandidatin in ihr Bewerbungsgespräch – und wurde prompt für ein kleines Tattoo am Handgelenk getadelt. „Ich will mal nicht so sein“, fuhr die Recruiterin fort, „tragen Sie einfach immer lange Ärmel und einen Blazer.“ Draußen hatte es damals 35 Grad. Sie sah die Kandidatin nie wieder.

Schein und Sein, modernes Image, in Wahrheit stockkonservativ – auf dieses Dilemma stößt man in vielen Kanzleien. Das kommt so: Das Schlagwort Employer Branding hat sich bis in die Partnerriege durchgesprochen, deswegen bekommen Marketing und/oder Human Resources den Auftrag, ein zeitgeistiges Bild der Kanzlei zu zeichnen. Damit sollen Nachwuchs- und andere Talente fürs Haus gewonnen werden. Das gelingt, doch diese erleben eine böse Überraschung: So zeitgeistig ist die Kanzlei nicht. Strukturen, Führung, Arbeit – alles wie eh und je.

Dann geschieht dreierlei: Erstens, die Talente kehren enttäuscht der Kanzlei den Rücken, deren Ruf davon nicht besser wird. Zweitens, die Marketing- und/oder HR-Verantwortlichen (meist Damen) verlassen sie ebenfalls bald, diesmal genervt und frustriert. Drittens, die Partner sind verärgert und sich keiner Schuld bewusst.

Potemkinsches Dorf

Bernhard Breunlich, seit Frühling Alleingeschäftsführer von Lawyers & more, ist oft mit diesem Szenario konfrontiert: „Die Damen können nichts dafür. Auf Partnerebene muss eine neue Perspektive einziehen.“ Diese macht er fest an zeitlicher Flexibilität – „nicht weniger arbeiten, aber flexibler“ – und an Weiterbildung: „Die Tätigkeit selbst als Weiterbildung zu verkaufen, ist eine Mogelpackung.“ Breunlich macht sich Gedanken, wie es dann wohl weitergeht:

  • Lernen unter Schmerzen: Den Erfolg einer Sozietät bestimmt ihr Umsatz. Findet sie keine Leute, die ihre Mandate abarbeiten, war die beste Akquise sinnlos. Spätestens dann muss sich etwas ändern. Breunlich rät zur systemischen Umkehrfrage: „Was passiert, wenn nichts passiert?“ Eine Zeit lang mag das Heile-Welt-Image die Bewerber täuschen, dann spricht sich die Wahrheit herum.
  • Marketing/HR höher ansiedeln: Diese beiden berichten heute meist an einen Partner. An einen von oft 20 oder mehr Partnern, dementsprechend gering ist das Gewicht von HR und Marketing in der Partnerrunde. Dort reißt sich niemand um Funktionen, die weder Mandanten noch Umsatz bringen. Visionär gedacht müssten Marketing- und HR-Verantwortliche nicht unter einem Partner stehen, sondern selbst welche sein. In Unternehmen gehören CMO und CHRO schließlich auch dem Vorstand an.
  • Salamitechnik: Wer nicht alles mit einem Paukenschlag ändern will, kann peu à peu in die schöne neue Haut hineinwachsen. Etwa im ersten Schritt echte Weiterbildung einführen (Digitalisierung!), für die dann auch Zeit gegeben wird. Ist Teil eins auf Schiene, widmet man sich der Flexibilisierung, mit familienfreundlichen Arbeitszeitmodellen, Teilzeit und Home Office, um nur die Gassenhauer zu nennen. Kreativität ist immer erlaubt.
  • Aussitzen: Zuletzt eine traurige Hoffnung. Die Pensionierungswelle der Babyboomer betrifft auch die Kanzleien. Vielleicht machen die nachrückenden Partner ja alles ganz anders.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2019)

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