Studienwahl

In viele Fächer hineinschnuppern

Welches Fach ist das richtige? Ein Orientierungsstudium hilft bei der Entscheidung und ermuntert Frauen zu MINT-Studien.
Welches Fach ist das richtige? Ein Orientierungsstudium hilft bei der Entscheidung und ermuntert Frauen zu MINT-Studien. (c) k_e_n - stock.adobe.com (Alena Kilchytskaya)
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An einigen deutschen Universitäten gibt es fächerübergreifende Orientierungsstudien. Sie geben Einblicke in verschiedene Fachrichtungen und erlauben Schulabgängern, ins Studentenleben hineinzuwachsen.

Erst probieren, dann studieren!“, heißt es in Deutschland an der TU Braunschweig. Hier startete diesen Herbst der zweite Jahrgang des neu etablierten Orientierungsstudiums, das jungen Erwachsenen bei der Entscheidung helfen soll, ob ein Studium der richtige Weg für sie ist, und ihnen einen Einblick in die einzelnen Studienrichtungen gibt. An mehreren deutschen Hochschulen gibt es zweisemestrige Orientierungsstudien, im Rahmen derer Lehrveranstaltungen aus verschiedenen Fächern besucht werden, um direkten Einblick zu bekommen, welche Inhalte das jeweilige Studium bereithält. Wer bereits Prüfungen ablegt, kann sich diese – sofern sie aus dem passenden Fach sind – danach im regulären Studium anrechnen lassen. „Beim Orientierungsstudium dreht es sich um die Fragen, ob man studieren will, was man studieren will und ob man studierfähig ist“, sagt Susann Heichel, Projektkoordination Orientierungsstudium an der TU Braunschweig.

Erfahren, was einen erwartet

Heichel zeigt Verständnis für die jungen Menschen, die bei der Studienwahl unsicher sind. „Wir haben in Deutschland mehr als 10.000 Studiengänge, da kann man schon den Überblick verlieren. Aber auch wenn ich mich für Architektur oder Maschinenbau interessiere, habe ich, wenn ich von der Schule komme, keine genauen Kenntnisse, was mich im jeweiligen Studium erwartet.“ Wer aber ein Semester lang etwa die Vorlesung „Technische Mechanik“ hört, der wisse genau, worauf er sich einlässt. „Wir öffnen für die rund 60 Teilnehmer des Orientierungsstudiums möglichst viele Lehrveranstaltungen“, sagt Heichel. Neben dem Eintauchen in einzelne Fächer gibt es im Rahmen des zweisemestrigen Orientierungsstudiums einen Schwerpunkt auf die persönliche Entwicklung mit Lerntechnik, Design Thinking und Potenzialanalyse. „Studieren an der Universität bedeutet ein hohes Maß an Selbstverantwortung, die man aus der Schule nicht kennt. Im Rahmen des Orientierungsstudiums kann man langsam in das Studentenleben hineinwachsen.“ Ziel der Universität ist es, durch das Angebot Drop-out-Quoten und Studienwechsel zu reduzieren.

Bereits seit acht Jahren gibt es ein Orientierungsstudium an der TU Berlin, es nennt sich „MINTgrün“. In zwei Semestern lernen die Studierenden die Fächer Mathematik (M), Informatik (I) Naturwissenschaften (N) und Technik (T) kennen. „Wir sehen gerade in den MINT-Fächern hohe Abbruch- und Wechselraten, weil die Studierenden oft einen falschen Eindruck vom Studium haben“, sagt MINTgrün-Leiter Christian Schröder.

Frauen für MINT motivieren

Auch versuche man mit dem Orientierungsstudium explizit Frauen anzusprechen, „da sich diese ein MINT-Studium oft nicht zutrauen, wir aber wissen, dass sie im Schnitt schneller zum Abschluss kommen und bessere Noten haben.“ MINTgrün bietet Einblicke in rund 50 verschiedene Studiengänge, auch hier werden absolvierte Prüfungen angerechnet. „Über zahlreiche Grundlagenmodule hinaus bieten wir Projektlabore mit forschendem Lernen an“, sagt Schröder. Knapp 600 Studierende absolvieren derzeit das Orientierungsstudium der TU Berlin. Das Angebot an Orientierungsstudien soll in Berlin weiter ausgebaut werden. „Wir streben mit der Freien Universität Berlin und der Humboldt-Universität Kooperationen an“, sagt Schröder. Und: Österreicher seien in Berlin bei MINTgrün ebenfalls willkommen.

Ursprünglich als Re-Demokratisierungsmaßnahme nach dem Zweiten Weltkrieg wurde an der Universität Tübingen am Leibniz-Kolleg bereits 1948 ein Orientierungsstudium und Propädeutikum eingeführt. „Das Programm wurde von den französischen Besatzern in Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern konzipiert“, erklärt Ursula Konnertz, wissenschaftliche und pädagogische Leiterin des Kollegs. Es ging einerseits darum, die aus dem Krieg Zurückgekehrten mit lang zurückliegendem Abitur studierfähig zu machen, andererseits um Demokratisierung durch Bildung. So sind am Leibniz-Kolleg auch politische oder philosophische Diskussionen Kernbestandteil. „Unser aktuelles Jahresthema ist ,Utopien neu denken‘, hier spielt der Klimawandel eine wichtige Rolle“, erklärt Konnertz. 53 Teilnehmer werden jährlich in Tübingen aufgenommen, Bewerber gibt es drei- bis viermal so viele. „Wir haben rund zehn Prozent internationale Studierende“, sagt Konnertz. Was das Leibniz-Kolleg besonders macht, ist der Umstand, dass alle Studierenden unter einem gemeinsamen Dach wohnen, sich basisdemokratisch selbst verwalten und auch an der Programmgestaltung aktiv beteiligt sind. Dass sich nach dem Jahr am Leibniz-Kolleg jemand gegen das Studieren entscheidet, ist laut Konnertz selten der Fall. „Die jungen Menschen finden danach den Weg ins passende Studium und haben Freunde fürs Leben gefunden.“

In Österreich nicht geplant

In Österreich ist ein eigenes Studium auf Probe laut Universitätenkonferenz (Uniko) nicht in Planung. „Mit der Einführung der Studienorientierungsphase in zahlreichen Disziplinen wurde quasi im Studium selbst eine Art Probezeit geschaffen“, sagt Elisabeth Westphal, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Uniko. Ziel sei, mit diesen Startphasen den Studierenden rasch zu zeigen, was auf sie zukommt, und die Drop-out-Wahrscheinlichkeit möglichst an den Studienbeginn zu verlegen.

Web:www.mintgruen.tu-berlin.de

www.uni-tuebingen.de

www.tu-braunschweig.de

www.studieren.de/orientierungsstudium.0.html

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2019)

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