Selfie im Wolkenkratzer im Smog über Seoul: Tief unten fließt der Han-Fluss durch die Metropole.
Serie: "Besser als gedacht"

Das Wunder vom Han-Fluss

Seit den 1960er-Jahren hat sich Südkorea von einem bitterarmen Land zur wohlhabenden Hightech-Nation hochgearbeitet. Am Anfang standen ein Militärdiktator und eine bienenfleißige Bevölkerung.

Träge und dunkel floss der Han-Fluss durch die Stadt. An seinen Ufern ragten windschiefe Hütten in die Höhe. Durch die Elendsquartiere von Seoul führten verdreckte Gassen und Straßen, überall in der Stadt stieß man auf nicht verheilte Wunden des verheerenden Korea-Kriegs. 2,5 Millionen Menschen lebten damals, 1961, in der Stadt, die das Bild einer typischen „Dritte Welt“-Metropole bot.

Ganz Südkorea galt als Armenhaus, mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 82 US-Dollar, einer Arbeitslosenrate bis zu 35 Prozent. In der Landwirtschaft arbeiteten 60 Prozent der koreanischen Bevölkerung. Das war die Ausgangslage, als sich der Karriereoffizier Park Chung-hee, der einst in der kaiserlich-japanischen Armee gedient hatte, im Mai 1961 an die Macht putschte.

Park ist heute wegen seiner diktatorischen Anwandlungen, seiner Vereinbarungen mit und seiner Nähe zur einstigen Kolonialmacht Japan eine umstrittene Figur der Zeitgeschichte. Aber unumstritten ist, dass er die Fundamente für das südkoreanische Wirtschaftswunder gelegt hat. Anfang der 1960er-Jahre war Südkorea ärmer als Ägypten, Ghana oder Haiti. Dann gab Park in seiner Neujahrsansprache 1962 den Startschuss für Umbau und Neuausrichtung der Wirtschaft. Nach den Vorgaben eines Fünfjahresplans wurde die Modernisierung von Landwirtschaft und Fischerei eingeleitet, der Ausbau der Infrastruktur in Angriff genommen, der Energiesektor belebt, Autobahnen, Brücken, Eisenbahnstrecken wurden durch das Land gebaut, Industrieparks angelegt. Ab 1964 verfolgte Park eine konsequente Außenöffnung durch umfangreiche Exportförderung von Textilprodukten und Lederwaren; gleichzeitig kamen Mechanismen des Importschutzes für bestimmte Zweige wie Schiffbau, Elektronik oder Petrochemie zum Tragen. Der Staat begann auch eine intensive Kooperation mit den wirtschaftlichen Eliten, Südkoreas legendäre Chaebols („reiche Sippen“) entstanden. Heute machen Familienunternehmen wie Samsung, Hyundai oder LG rund 70 Prozent der südkoreanischen Wirtschaftsmacht aus.

Schattenseiten der Glitzerwelt. Mit dem Aufstieg der Chaebols ging die Schwerindustrialisierung einher. Doch war Südkoreas Wirtschaftswunder nur dank einer folgsamen und täglich bis zur Erschöpfung arbeitenden werktätigen Bevölkerung möglich. Wenn sie wegen der schweren Arbeitsbedingungen aufmuckte, schritten die Behörden ein. Südkorea wurde von Staat und Unternehmertum praktisch in die Modernisierung vorangepeitscht. Mit Parks Ermordung 1979 fand diese Phase der expansiven Industrialisierung ein dramatisches Ende.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.