Ein verschluckter Bruder, Weisheiten einer Katze und die menschliche Anatomie als Bastelanleitung: Die neue Kinder- und Jugendliteratur ist voller künftiger Klassiker.
Vor einigen Wochen fragte eine österreichische Wochenzeitung ihre Leser nach deren liebsten Kinderbüchern. Aus den am häufigsten genannten schnürte man ein Paket mit zehn Empfehlungen für den Schulbeginn. Das aktuellste darunter sind Christine Nöstlingers „Die besten Geschichten vom Franz“, die meisten Bücher lagen schon in den Fünfziger- und Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts in den Schaufenstern. Da wären etwa die „Omama im Apfelbaum“ und „Die kleine Hexe“, „Jim Knopf“ oder „Der alte und der junge und der kleine Stanislaus“. Alles wunderbare Bücher, natürlich. Klassiker. Dass bei den drei Stanisläusen immer nur Bub, Vater und Opa Abenteuer erleben, während Mädchen, Mutter und Oma sich um den Haushalt kümmern, muss man wohl auch nicht so eng sehen.
Aber: Woher kommt die besonders konservative Haltung gerade bei Kinderbüchern? Aus Misstrauen neuen Themen gegenüber? Vertraut man den Autoren und ihrer Sprache nicht? Ist schlicht Sentimentalität der Grund? Oder Unwissenheit? Und lesen diese Erwachsenen abends Ingeborg Bachmann, Ilse Aichinger, Thomas Mann?
Ein gefressener Bruder. Die Konzentration auf die alten Werke macht es den neueren nicht gerade leicht. Dabei gibt es unter den aktuellen Kinder- und Jugendbüchern viele, die besondere Aufmerksamkeit verdient hätten, viele, die Klassiker werden könnten. Da sind Bilderbücher, so einfallsreich und witzig, dass man laut losprusten möchte. Etwa „Der Tag, an dem Louis gefressen wurde“ (Moritz Verlag, 2012), eine Heldengeschichte mit Erfindergeist. Oder das brillant illustrierte „Wo ist mein Hut?“ (NordSüd-Verlag, 2012), das seine Leser aufs Schönste täuscht. Es gibt leise und lebenskluge Geschichten über Solidarität wie „Ich bin's, Kitty“ von Mirjam Pressler (Beltz, 2018). Obwohl: Eigentlich sollte man alle Jugendbücher dieser wunderbaren Autorin und Übersetzerin im Regal haben. Es gibt packende, fantastische Romane und Reihen wie Timothée de Fombelles „Tobie Lolness“ (Gerstenberg, 2018) oder Zoran Drvenkars „Licht und Schatten“ (Beltz, 2019). Poetische Erzählungen über das Gefühlschaos der Pubertät wie Tamara Bachs „Wörter mit L“ (Carlsen, 2018). Sprachlich herausragende und rührende Romane wie „Mein Freund Pax“ (Sauerländer, 2017).