Am Herd

Früher war alles besser?

Früher war gar nichts besser - wir waren nur jung.
Früher war gar nichts besser - wir waren nur jung.(c) imago/blickwinkel (imago stock&people)
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Ach was: Früher waren wir einfach nur jung. Aber sonst? Ein Aufruf zur Erinnerung.

Und da sitzen wir wieder zusammen, nach etlichen Jahren, versichern uns gegenseitig, dass wir uns gar nicht verändert hätten, erzählen, welche Instrumente die Söhne spielen, welchen Sport die Töchter betreiben, dass der Hund gestorben ist oder die Katze Junge bekommen hat. Wir geben Anekdoten zum Besten, von unseren Kollegen, Partnern, Ehemännern, und dann reden wir von früher, von damals, als wir 16 waren oder 18. Wisst ihr noch?

Ja, wir wissen. Und wir denken gern daran, an den Lateinprof, der die irrsten Gschichterln erzählte und dem immer ein neues Schimpfwort einfiel, an die kluge und fesche Deutschlehrerin, in die fast alle Burschen heimlich verknallt waren, an Abende voller Bacardi und keinem Gedanken an morgen, an Markus und Claudia, die sich in der Oberstufe verliebt, dann getrennt haben und heute wieder zusammen sind. Und die Maturareise! Jemand hat Fotos mitgebracht, darauf sind wir alle braun gebrannt und fröhlich.

Und wir lachen und bestellen noch ein Achtel vom Grünen Veltliner aus der Wachau.


Ausgelacht. Aber erinnert ihr euch auch noch, dass der Professor nicht nur Gschichterln erzählte, sondern am liebsten die schlechten Schüler an die Tafel holte, und wenn wir einen Fehler machten, dann brüllte er oder lachte uns aus, je nach Laune, und für euch war das lustig, aber ich habe mich gefürchtet, und bis heute hasse ich Latein.

Erinnert ihr euch an den Buben, dessen Schultasche wir versteckten, dessen Hausübung wir unter den Wasserhahn hielten? Dem wir sagten, er stinke, so lang, bis er es selbst glaubte? Keiner schritt ein. Und alle waren stolz auf die „gute Klassengemeinschaft“.

An die Mitschülerin, die lesbisch war und es sich nicht zu sagen traute, auch uns nicht, dabei waren wir doch ihre Freundinnen? Waren wir das?


Streng und gerecht? Damals, ja damals waren wir jung, das ganze Leben lag vor uns, und deshalb denken wir, dass früher alles besser war: In der Schule wurde noch etwas verlangt, wir hielten richtig zusammen, die Profs waren streng, aber gerecht, und wenn sie nicht streng und gerecht waren, nannten wir sie schrullig. Tatsache ist: Früher haben wir nicht mehr gelernt als die Schüler heute, wer anderer Meinung ist, vergleiche die Biologiebücher der Oberstufe. Es wurde mehr gemobbt, auch wenn es das Wort noch nicht gab. Und viele Lehrer haben als Erstes die Einser ausgeteilt und dann die Zweier und dann die Dreier, und die schlechten Schüler mussten die ganze Zeit zittern – und ganz generell waren paar ganz miese Pädagogen darunter.

Das Einzige, was früher wirklich besser war: die Rechtschreibung. Aber das ist nicht genug.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

www.diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2019)

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