Kolumne zum Tag

Es gibt keine Sex-Täter, es gibt kein Familiendrama

Bequemlichkeit oder Gewohnheit darf keine Ausrede für schlechtes Schlagzeilendeutsch sein.
Bequemlichkeit oder Gewohnheit darf keine Ausrede für schlechtes Schlagzeilendeutsch sein.(c) imago/Ikon Images (imago stock&people)
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Mehr Mut zur Selbstkritik. Und Bequemlichkeit darf bei Schlagzeilendeutsch keine Ausrede sein.

Wer auf wenig Platz möglichst viel Information unterbringen muss, kennt das. Da ist man dankbar für jede Formulierung, die ein Phänomen scheinbar prägnant ausdrückt. Willkommen im journalistischen Alltag. Diesem Phänomen haben wir etwa ungeschickte Formulierungen wie „Liebes-Aus“ zu verdanken, das im Boulevard gern verwendet wird, wenn Prominente eine Beziehung beenden. Nun ist es aber so, dass jede Vereinfachung einen Verlust an Präzision bedeutet. Oder – das ist noch schlimmer – sogar die Bedeutung in eine bestimmte Richtung verschieben kann.

Ein Beziehungsdrama etwa klingt ein bisschen nach einer aufgeregteren Variante von Rosamunde Pilcher. Einen Mord damit zu beschreiben greift jedenfalls daneben. So wie auch Begriffe à la Familientragödie eine Gewalttat sprachlich verharmlosen. Etwas, auf das zuletzt der Presserat hingewiesen hat – und an das sich Journalisten halten sollten. Klar, Bausteine sind simpel und passen oft ins Titelformat mit den großen Buchstaben. Doch Bequemlichkeit oder Gewohnheit darf keine Ausrede für schlechtes Schlagzeilendeutsch sein.

Besonders oft findet sich der vermeintliche Kunstgriff, Sexualverbrechen durch Voranstellen des Begriffs „Sex“ zu benennen. Da werden dann „Sex-Vorwürfe“ gegen einen „Sex-Täter“ nach einer „Sex-Attacke“ erhoben. Das ist vor allem deshalb ein Problem, weil Sex per Definition auf freiem Willen und Konsens beruht. Weil in eine solche Kategorisierung alles Mögliche fallen kann, von verbaler Belästigung bis zur Vergewaltigung. Und weil so der Anschein erweckt wird, als wäre alles eh nicht so schlimm. („Sex-Strolch“ klingt da ja fast schon niedlich.) In diesem Sinn, lieber ein paar Minuten länger nachdenken, die Dinge klar benennen, nicht gedankenlos in den sprachlichen Baukasten greifen. Und Mut zur Selbstkritik haben. Es geht nämlich auch anders.

E-Mails an: erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2019)

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