Viennale

„A Dog Called Money“: Ein Film als Entdichtung von Songs

Oft auch mit Kopftuch: PJ Harvey bei der Recherche für „The Hope Six Demolition Project“.
Oft auch mit Kopftuch: PJ Harvey bei der Recherche für „The Hope Six Demolition Project“.(c) Seamus Murphy
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PJ Harvey hat Eindrücke von Reisen zu einem großartigen Album verdichtet. Der Film „A Dog Called Money“ zeigt die Entstehungsgeschichte – und fügt ihm wenig hinzu.

„The Hope Six Demolition Project“ von PJ Harvey, 2016 erschienen, ist ein fantastisches Musikalbum. Die südenglische Hippietochter, Anfang der Neunzigerjahre zur führenden weiblichen Stimme der Schuld-und-Sühne-Fraktion des Post-Punk geworden, inszenierte darin musikalische Dramen, von denen man nie wusste, wie weltlich sie noch und wie überweltlich sie schon gemeint waren. Wenn sie etwa in „The Ministry of Defence“ die Zeile „This is how the world will end“, gellte – war das apokalyptische Beschwörung oder „nur“ ein Zitat aus einer fundamentalistischen Gemeinde? Denn solche hatte sie zur Vorbereitung auf das Album besucht, erfuhr man damals, so wie Kriegsgebiete in Afghanistan und im Kosovo, aber auch die US-Hauptstadt Washington.

Aufgenommen hinter dem Spiegel

Begleitet hat sie damals der Fotograf Seamus Murphy: Sie sammelte Worte, er sammelte Bilder. Sie hat das Album daraus destilliert, er hat seine Aufnahmen nun für den Film verwendet, der bei der Viennale präsentiert wurde. Doch im Gegensatz zu „The Hope Six Demolition Project“ ist „A Dog Called Money“ kein Werk für sich, sondern geriert sich als „Making-of“ zum Album, als Erzählung über dessen Entstehung. Man sieht also abwechselnd Sequenzen, die Polly Jean Harvey als recherchierende Touristin zeigen, und Sequenzen aus dem Proberaum im Somerset House in London. Dort wurde das Album quasi öffentlich aufgenommen: Gäste konnten durch einseitig verspiegeltes Glas die Musiker beobachten, diese aber sahen die Beobachter nicht.

So wird man Zeuge des musikalischen Prozesses, darf ab und zu mit den Musikern lächeln (etwa wenn einer das Wort „can't“ als „cunt“ missversteht und auch die dezente PJ Harvey lachen muss), bekommt vorgeführt, wie diese packenden Arrangements peu à peu entstanden sind. Das nimmt den Songs vielleicht nicht die Magie, fügt ihnen aber sicher keine hinzu.

Und die Aufnahmen von den Reisen? Ja, man sieht Kindergesichter in Großaufnahme und Gospelchöre in Verzückung, die Kamera streift über zerbombte Mauern, aber man erfährt kaum etwas darüber, wie und warum sie zerbombt worden sind. PJ Harvey versucht sich in Leutseligkeit, sagt Sätze, wie sie wohl jedem Reisenden in armen Landern entfleuchen: „So viele Menschen auf so kleinem Raum.“ Die Bilder sind schön, der Mond steht groß und voll über Kabul (oder war es im Kosovo?), aber im Grunde bleibt es ein bewegtes Fotoalbum. Und wirkt der Song „Chain of Keys“ mehr, wenn man die Frau mit den Schlüsseln gesehen hat, die Vorbild dafür war? Eher nicht. Man will ja auch keine filmischen Porträts der Vorbilder von Abraham oder Georgia Sam aus Bob Dylans „Highway 61 Revisited“ (das PJ Harvey bei ihrer jüngsten Tour gespielt hat).

Ein Kunstwerk wie das Album von PJ Harvey entsteht durch Verdichtung – im doppelten Wortsinn von Erlebtem. Seamus Murphys Film als Sekundärkunstwerk zerlegt, erklärt und ergänzt es – und versucht damit im Grunde, es zu entdichten. Das kann man, aber das muss man nicht mögen.

Regulär im Kino: ab 22. November.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2019)

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